Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Der Hahn ist schon lange zu
DESSAU/MZ. - Wenn Ulrich Metzen das Stichwort Dessau hört, gerät er ins Schwärmen. "Den Alkohol aus Dessau mussten wir nicht reinigen."
Metzen gehört zu den Herrschern eines abnehmenden Reiches und arbeitet in einer Behörde, von der die wenigsten je gehört haben dürften, obwohl indirekt zumindest die meisten Deutschen jenseits der 30 Kunden waren. In Offenbach hat die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein ihren Sitz, die über Jahrzehnte hinweg der einzige Abnehmer von Hochprozentigem war - und zugleich der einzige Auftraggeber aller Destillen. Die Offenbacher waren auch Kunde in Dessau.
Die Gärungschemie war zu DDR-Zeiten ein Symbol des Widerspruchs: Wer das heruntergekommene Betriebsgelände betrat, den konnte angesichts lecker Rohre und morscher Mauern ein mulmiges Gefühl beschleichen. Auch war das Unternehmen, dessen Wurzeln ins Jahr 1871, dem Jahr der Reichsgründung also, zurückreichen, als übler Umweltverschmutzer verrufen. Bariumverbindungen wurden hergestellt, vor allem aber 96,8-prozentiger Primasprit. Und das in unvorstellbaren Mengen: Die Jahresproduktion von einer halbe Million Hektolitern hätte ausgereicht, 20 olympische Schwimmbecken zu füllen.
Die Geschichte des Branntweinmonopols, mit dem sich der Staat zum einzigen Großhändler für Primasprit machte, beginnt 1922, als in Berlin die Reichsmonopolverwaltung gegründet wurde. Sage und schreibe 183 Paragrafen zählte das Branntwein-Monopolgesetz, das dem Staat vor allem Einnahmen sichern sollte.
Mit der Wiedervereinigung wäre es um die Gärungschemie beziehungsweise um die mit ihr verbandelten neu gegründete Biomel GmbH fast geschehen gewesen: Mit 5 000 000 Hektoliter Ausstoß hätte Dessau wohl etliche Brennereien weggeschwemmt. Und wenn Nordhausen seinen Hahn voll aufdrehte, kamen weitere 100 000 Hektoliter hinzu. Man muss sich die Dimension deutlich machen: Die damals drittgrößte Brennerei in Frankfurt / Oder brachte es auf gerade einmal 16 000 Liter, insgesamt wurden 10 Millionen Hektoliter produziert.
Der Einigungsvertrag - und man darf vermuten, die Konkurrenz - versuchten die drohende Alkoholflut aus dem Osten zu stoppen. Dessau und Nordhausen sollten nicht ins Branntweinmonopol aufgenommen werden. Für beide hätte es das Aus bedeutet. Eine Klage vorm Bundesverfassungsgericht - und, so erzählt es Metzen - informelle Absprachen zwischen Gericht und Finanzministerium, sicherten der Gärungschemie ein immer noch gewaltiges Kontingent von 45 000 Hektolitern zu. Das Firmengelände war scharf überwacht, Zöllner kontrollierten die Fertigung und Abfüllung, auf dass kein Tropfen abgezweigt wurde.
Das ist Geschichte. "In Dessau wird seit 2001 kein Alkohol mehr gebrannt", sagt Uwe Heuser, Geschäftsführer der Gärungschemie GmbH. Mit der Aufweichung des Alkoholmonopols bei gleichzeitigem Anstieg des Ausgangsstoffs Melasse hatte das Unternehmen seine Geschäftsgrundlage verloren.
Das deutsche Branntweinmonopol, vom Ausland ohnehin immer argwöhnisch beäugt, schleiften zunächst Richter. 1979 sorgte etwa der Europäische Gerichtshof dafür, dass "Cassis de Dijon" nach Deutschland eingeführt werden durfte, obwohl er mit etwa 16 Prozent nur halb so viel Alkohol enthielt, wie die Monopolbehörde es vorschreiben wollte, um so höhere Abgaben fordern zu können.
In der Bundesrepublik hatte sich Monopolverwaltung längst in eine Subventionsbehörde gewandelt: wer Alkohol brannte, erhielt Geld vom Staat. 1999 waren das insgesamt 300 Millionen Mark, als die Regierung über das Haushaltssanierungsgesetz die Notbremse zog: sie entließ die gewerblichen Brennereien, zu denen Dessau gehörte, mit einer Übergangsfrist in den Markt.
In den kommenden Jahren werden wohl weitere Brennereien aussteigen, die noch unter Monopolrecht stehen, denn 2018 läuft das entsprechende Gesetz endgültig aus. Bis dahin profitieren von der Alkohol-Subventionierung nur noch 28 000 Kleinst-Destillen, die vor allem in Süddeutschland zu finden sind und maximal 300 Liter Hochkonzentrierten ausstoßen. Ebenso treffen wird es rund 4 325 000 Stoffbesitzer - tatsächlich nennt das Gesetz etwa die Pächter von Streuobstwiesen so, die Apfel oder Birne in überschaubaren Mengen vergeistigen lassen. Für manch einen wird sich die Sache nicht mehr lohnen: auf dem Markt werden für den Liter reinen Branntweins etwa 50 Cent geboten, der Steuerzahler bietet dafür über die Monopolverwaltung bis zu drei Euro.