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Dessau Dessau: Lebhafte Erinnerung an das erste Gebet der Erneuerung

Von ILKA HILLGER 20.09.2009, 15:56

DESSAU/MZ. - 20 Jahre danach erinnert man sich an das erste Gebet für Erneuerung, das an jenem Tag in der Muldestadt stattfand. Peter Rauch, damals Pfarrer an der Johanniskirche, sprach am Sonntag nach dem Gottesdienst ebendort in einem Sonntagsgespräch von der Wende und wie er sie in Dessau erlebt hat.

Ein kleiner Kreis hatte sich dafür in der Winterkirche versammelt und blickte zurück, sortierte Ereignisse, rekapitulierte die Treffen in den Kirchen, rekonstruierte, was damals gesagt wurde und geschah. Rauch selbst sollte in dieser Runde vor allem Stichwortgeber sein, um mit den Gemeindegliedern noch einmal den Herbst 1989 herauf zu beschwören. Und tatsächlich gab es etliche, die damals aktiv mit dabei waren, sogar keinen Gottesdienst ausließen. "Dann sind sie ja kompetenter als ich, denn mir fehlen einige", lachte Rauch und es entspann sich ein Gespräch darüber, was vor 20 Jahren geschah.

Dass die Johanniskirche ein zentraler Ort im Dessauer Wendegeschehen wurde, war eher Zufällen zu verdanken. Eigentlich sollte an jenem 20. Oktober ein Friedensgebet der Jugend in der Georgenkirche stattfinden. Landauf landab aber waren die Kirchen der DDR in jenen Tagen längst zu Versammlungsstätten geworden. Nur Stunden vor dem Gebet traf die Kirche ob des zu erwartenden Ansturms die Entscheidung, in die Johanniskirche umzuziehen. "Dabei war unsere Kirche damals eine Baustelle, sie wurde restauriert, Emporen waren gesperrt, und oben lagen die Cranachgemälde auf dem Boden", erinnerte sich Peter Rauch.

Notdürftig wurde das Gotteshaus hergerichtet. Alle Stühle, die zu finden waren, wurden aufgestellt. Gereicht haben sie nicht. Rund 2 000 Menschen fanden sich an diesem Abend ein. "Ich habe aber darauf bestanden, dieses Gebet wie einen Gottesdienst zu behandeln", berichtete Rauch. Also wurde gesungen und gebetet und erst dann das Mikrofon freigegeben für jene, denen die Kirche erst in den 89er Herbsttagen eine Heimat auf Zeit werden sollte.

"Ich habe in der Kirche eine Atmosphäre gespürt, die uns alle zusammen brachte. Es ist unbeschreiblich, wenn 2 000 Menschen zusammen singen. Von Mal zu Mal wurde es befreiender, ein wunderbares Erlebnis", erinnerte sich am Sonntag in der Johanniskirche ein Gemeindeglied. Immer wieder sprach man in dieser Runde vom Wunder, aber auch von den Ängsten, die die Menschen damals hatten. Von der Wut auf den DDR-Unrechtsstaat war die Rede aber auch von der Nächstenliebe, von der Möglichkeit, Fehler einzusehen und zu bereuen, etwas, was vor 20 Jahren in der Kirche viele der Nichtgläubigen nicht nachvollziehen konnten und wollten.

Wie groß damals auch die Zweifel des Pfarrers selbst waren, unterstrich Peter Rauch mit wenigen Worten, die er aus seinen aufgeschriebenen Erinnerungen las. "Wie würden meine ersten Worte aufgenommen werden", fragte er sich damals. Totenstille habe in der Kirche geherrscht, nach zwei , drei Sätzen brandete Beifall auf. "Mir war es, als hätten wir ein Abkommen geschlossen, wir konnten uns aufeinander verlassen", sagte Rauch. Dieses Abkommen sollte über viele Wochen halten.

Erinnert wird daran 20 Jahre später vor allem in diesen Tagen. Natürlich auch noch mehrfach in der Johanniskirche. Am 20. Oktober findet dort um 19 Uhr eine Erinnerung an das erste Gebet um Erneuerung in Dessau statt. Wenn dann das Wandgemälde von Fridolin Kraska zur Wende, gemalt an die Turmwand der Westempore, enthüllt wird, ist auch Pfarrer Peter Rauch mit dabei.