Nila statt Rokstan Bucherscheinung in Dessau-Roßlau: Kein Roman über Rokstan - und doch einer

Dessau-Roßlau - Das Buch hätte einen anderen Namen haben können, eigentlich sogar haben sollen. Rokstan. Im Herbst 2015 wurde die 20-jährige Syrerin in einer Dessauer Kleingartensparte ermordet. Der tatverdächtige Vater ist auf der Flucht - und vermutlich abgetaucht in seiner Heimat. Mark Krüger kannte Rokstan. Der Dessauer hatte die junge Frau wenige Wochen vor dem Tod interviewt (damals unter dem Psedudonym Eike A.). Es war und ist ein erschütterndes Dokument.
Krügers erstes Buch aber heißt „Nila“. Warum? „Ich wollte und brauchte Abstand“, sagt Krüger. In den Wochen nach dem Mord hat Krüger viele Interviews gegeben - und um Rokstans Vermächtnis gekämpft. Nicht jeder hat das verstanden. „Es gab viele Vorwürfe“, sagt Krüger. Der Selbstdarstellung. Der Bereicherung. Krüger winkt ab. „Alles falsch.“ Aber: „Ich habe das Thema zur Seite gelegt.“
Geschichte über sich selbst
Mark Krüger war Sänger, Schauspieler und Maler. Er war in den Charts. Er hat den offiziellen Uefa-Song zur Frauen-Fußball-EM 2005 gesungen. Er war Elvis Presley in einem Musical. Er hat bei der RTL-Serie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ mitgespielt. Jetzt ist der Dessauer mit den vielen Künstlernamen Schriftsteller - und legt sein erstes Buch auf dem Tisch: „Nila - Sie durften sich nicht lieben“. Noch dramatischer steht es auf der Rückseite des Hardcovers. „Er hat überlebt. Er flieht vor den Taliban. Nur sie kann ihn retten.“ Eine Liebes-Geschichte? Eine Kriegs-Story? „Zuallererst“, sagt Krüger, „ist es auch eine Geschichte über mich.“
Für die Liebe zum Islam konvertiert
Krüger ist Ende 30, war nicht im Krieg gegen die Taliban, kann aber trotzdem Geschichten erzählen, die alle irgendwie unglaublich sind. Eine davon beginnt 2005 mit einem Urlaub in der tunesischen Küstenstadt Sousse und endet eineinhalb Jahre später mit einer überstürzten Flucht mit einer Autofähre nach Sizilien. Krüger hatte sich in Sousse in Hamida verliebt, eine Animateurskollegin, und alles getan, die unmögliche Liebe möglich zu machen. „Ich habe eineinhalb Jahre versucht, mich in Tunesien zu integrieren.“ Krüger konvertierte zum Islam. „Das war der Preis, den ich zahlen musste und wollte. Ich kann das Glaubensbekenntnis noch heute aufsagen.“ Krüger verlobte sich mit Hamida. Es war ein Fest mit 400 Gästen. „Ich kannte zehn von ihnen.“ Die Rechnung war riesig, weit über der vereinbarten Summe. Krüger flog nach Hause, das Geld zu beschaffen. „Als ich wieder kam, war Hamida weg.“
Eine Flucht und eine Lüge
Krüger suchte seine Verlobte und fand sie zwei Tage später am Stadtrand von Sousse, versteckt bei Verwandten in einer Lehmhütte. „Ich habe auf die Verlobung bestanden. Ich war naiv, ich dachte, ich kann uns dort ein Leben aufbauen.“ Ein paar Wochen blieb Krüger bei Hamida in der Lehmhütte, ehe er in Sousse eine Wohnung fand. Beide lebten dort. Von seinem Ersparten. Doch beide waren dort auch nur geduldet. „Es gab viele brenzlige Situationen. Dass ein Europäer eine arabische Frau liebt, das gibt es dort eigentlich nicht.“ Krüger war irgendwann an einem Punkt, an dem es nicht weiter ging. „Man hat uns nicht akzeptiert - und hätte das auch nie getan.“ Es gab Drohungen. „Man wollte mit mir in die Wüste fahren.“
Krüger entschloss sich zur Flucht, nahm sich in der Nacht ein Taxi und fuhr aus Angst nicht zum Flughafen, sondern nach Tunis, um dort die Fähre nach Palermo zu nehmen. Zwei Tage später landete Krüger in Düsseldorf. Hamida und ihrer Familie ließ er noch eine Botschaft zukommen. „Freunde haben ihr berichtet, dass ich bei einem Unfall ums Leben gekommen bin. Hamida sollte wieder frei sein. Ich wollte ihre Ehre retten.“
Wer darf wen lieben?
Krüger hatte die Erlebnisse damals aufgeschrieben. „Eigentlich sollte das der Roman werden.“ Das Ergebnis war ihm zu kitschig. „Ich habe auch gemerkt, wie verrückt die ganze Sache war.“ Das Thema aber ließ Krüger nicht los. Die Idee zu „Nila“, zur „Kleinen Göttin“, war da. Es geht um die Frage: Wer darf eigentlich wen lieben?
Krüger hat die Geschichte nach Afghanistan verlegt. „Ich wollte ein Thema von heute.“ Krüger lässt dort einen amerikanischen Elitesoldaten bei einem Einsatz verunglücken und auf eine afghanische Muslimin treffen - und beide sich verlieben. Eric Jones, der US-Soldat, muss sich irgendwann entscheiden: Versucht er, zurück zu seiner Truppe zu kommen oder bleibt er bei Nila für eine eigentlich chancenlose Beziehung. Ist das nun weniger kitschig? Krüger lacht. „Das müssen andere entschieden.“ Kommen beide am Ende zueinander? Gibt es ein Happy End? „Es kommt darauf an, was man als Happy End versteht.“
Pläne für weiteres Buch
Das Buch ist in einem Hamburger Selbstverlag erschienen. Das ist derzeit der einfachste und preiswerteste Weg, einen Roman zu veröffentlich. Gedruckt wird, wenn es eine Bestellung gibt. Die sind zahlreich. Krüger hat sich und das Buch geschickt vermarktet. Bei Facebook gibt es einen eigenen Trailer. Bernd Lambrecht, ein Freund aus Schauspieler-Tagen, hat ein Teil des Buches eingelesen. Bei Thalia im Rathauscenter liegt es in der Auslage. Über Amazon ist es bestellbar. Die Reaktionen sind positiv.
„Das erste eigene Buch in der Hand zu haben, das ist schon ein geiles Feeling“, sagt Krüger und hat große Pläne. Buch Nummer 2 liegt schon fertig in der Schublade. Ein Psychothriller für Frauen, der im Harz und in Berlin spielt. „Die Klinik“ ist der Titel. „Wenn Du die Wahrheit kennst, bist du tot“ die Unterzeile. Im Herbst soll das Buch auf den Markt kommen.
Kann man davon leben? „Diese Frage kann ich noch nicht beantworten“, sagt Krüger. Es ist ihm aber auch erst einmal egal. Ist Krüger von einer Sache überzeugt, dann gibt es nur ganz oder gar nicht. Dass war beim Singen so und später beim Schauspielern und Malen. Das war bei Hamida, der Frau aus Tunesien, so. Und ist nun so bei seiner kleinen Familie, die im Harz heimisch geworden ist.
Was wird aus dem Rokstan-Roman?
Deshalb ist auch Rokstan nicht vergessen, die junge Syrerin, die sterben musste, weil sie zu europäisch lebte. Krüger beschäftigt die Geschichte - und auch immer der Islam. „Es kann schon sein, dass da noch ein Roman draus wird.“ Ein Foto von Rokstan hängt in seinem Hausflur im Harz. „Als Erinnerung.“ Wird der Fall irgendwann aufgeklärt? Krüger schüttelt den Kopf. „Ich glaube nicht, dass es jemals zu einem Prozess kommt.“ (mz)