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Blumen für den traurigen Clown

Von ANDREAS HILLGER 22.02.2010, 19:22

DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Dass es für ihn dann doch das Theater geworden ist, weiß man in Dessau seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Am Dienstag nun wird der Schauspieler, der am Anhaltischen Theater vor allem durch seine komischen Rollen zum Publikumsliebling geworden ist, 60 Jahre. Es ist auch ein Stück Dessauer Kulturgeschichte, das es da zu feiern gilt.

Aber der Reihe nach: Geboren in Dresden, lernt der Müller zunächst Bäcker und Konditor schon dies ein Kalauer nach seinem Geschmack. Für sein Schauspielstudium wählt er die Rostocker Schule, um den heimischen Dialekt möglichst gründlich zu verlernen, was in Leipzig eher schwierig gewesen wäre. Dann geht er auf eigenen Wunsch nach Halle zum Kindertheater: "200 Vorstellungen im Jahr, ich habe es geliebt!" Und dann verschlägt es ihn zum ersten Mal nach Dessau - bis ihn die DDR-Armee für drei Jahre zum Erich-Weinert-Ensemble einberuft. Dort könnte er Karriere machen, aber der junge Schauspieler will lieber das bunte als das graue Hemd tragen und kehrt in Zivil zurück, um angesichts von lukrativen Film- und Fernsehangeboten wenig später eine freischaffende Karriere zu riskieren.

Da aber lernt Hans-Jürgen Müller-Hohensee die Launen des Marktes kennen: "Plötzlich bleiben die Rollen aus, ich fuhr in die Tomatenernte nach Werder, um mir den Wein leisten zu können, mit dem ich mich abends bei Freunden zum Fernsehen einlud."

Also sucht er doch wieder die Sicherheit eines festen Engagements, das ihn auf kurzem Umweg über Quedlinburg zurück nach Dessau führt. Und hier ist er geblieben auch und vor allem wegen seiner Familie, seiner Frau Christel Ortmann und der gemeinsamen Kinder David und Lea.

Wenn man die akribisch geführte Liste seiner Rollen liest, sind es immer wieder die komischen Figuren, die im Gedächtnis haften, jene Gestalten, die ihre Umwelt wie sich selbst permanent überfordern, die sich lächerlich machen und den Ereignissen hinterherhetzen. Dann aber finden sich da auch Miniaturen wie der blinde Stammvater in Kleists Familie Schroffenstein, den Müller-Hohensee sehr verhalten und dennoch stets gegenwärtig spielt. Ein trauriges Orakel, das die Katastrophe ohnmächtig vorhersieht.

Ist das wirklich nur Schalk, was jetzt in seinen Augen blitzt? Am liebsten würde man Hans-Jürgen Müller-Hohensee die Sonnenbrille aus den Schroffensteins auch an diesem Winter-Vormittag aufsetzen, während er von den alten und den neuen Zeiten spricht von seiner Eröffnung des Studio 30, das inzwischen längst ebenso Geschichte ist wie seine Revue "Mit Amor auf Du und Du" oder die legendäre "Himmelfahrt der Galgentoni".

Viel hat sich verändert, zuletzt mit dem Intendanz-Wechsel am Beginn der neuen Spielzeit und es macht einen Unterschied, ob man die Veränderung selbst wählt oder ob diese Entscheidung ein anderer trifft. Das Damoklesschwert der Etat-Kürzungen, das seit der Wende über dem Anhaltischen Theater hängt, hat sich in den letzten Wochen zudem noch einmal bedrohlich gesenkt. Wenig Grund zum Feiern also, wenn man müde ist von all den Kämpfen?

Es ist gewiss kein Zufall, dass sich Hans-Jürgen Müller-Hohensee zum Geburtstag die neue Auflage vom Lexikon der ausgestorbenen Berufe gewünscht hat. Nicht um nachzusehen, ob sein eigenes Metier bereits auf der roten Liste steht, sondern um sich für seine Zukunft weiterzubilden.

Denn als er kürzlich für Philipp Stölzls Goethe-Film als Perückenmacher vor der Kamera stand, konnte er dem Regisseur sagen, dass die mitgebrachten Brennscheren erst Jahre später erfunden wurden. Sofort wurde die Dekoration geändert und der Schauspieler hatte seinen kleinen Auftritt ein bisschen authentischer gemacht.

Auf solche Rollen vor der Kamera hofft Müller-Hohensee auch dann, wenn er die Bühne in einigen Jahren verlassen wird. Dass er inzwischen selbst in einem Lexikon nämlich dem der Dessauer Künstler verzeichnet ist, freut ihn natürlich dann doch. Und es ist hoch verdient nach 13 Märchen- und etlichen anderen Inszenierungen, nach zahlreichen Rollen in ungezählten Vorstellungen. Wie aber gratuliert man einem Spaßmacher mit dem Hang zur Traurigkeit? Send in the Clowns.