1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Bau einer Fischtreppe am Dessauer Muldewehr: Bau einer Fischtreppe am Dessauer Muldewehr: Millionen für die Rettung des Störs

Bau einer Fischtreppe am Dessauer Muldewehr Bau einer Fischtreppe am Dessauer Muldewehr: Millionen für die Rettung des Störs

Von thomas steinberg 21.10.2015, 14:22
Alles für den Stör: Am Dessauer Muldewehr wird gebaut.
Alles für den Stör: Am Dessauer Muldewehr wird gebaut. DPA Lizenz

dessau - Geht alles gut, wird er mit dem größten Erfolg seines Lebens in den Ruhestand gehen. Denn wenn in etwa 15 Jahren Störe in der Mulde schwimmen, dann hat es Jörn Gessner allen Skeptikern und Kritikern gezeigt.

Wer den promovierten Biologen am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin kontaktieren will, schreibt eine Mail, deren Empfängeradresse das englische Wort für Stör enthält. Seit Jahrzehnten erforscht Gessner diesen Fisch - und mehrfach war er am Dessauer Muldewehr, um dort junge Störe auszusetzen.

Auflage der Europäischen Union

Anfang November wird neben der Großbaustelle Muldebrücke offiziell ein weiteres Millionenprojekt gestartet, der Bau einer Fischaufstiegsanlage. Würde Sachsen-Anhalt europäische Umweltrichtlinien ernst nehmen, müsste der Bau noch vor Jahresende abgeschlossen sein, was freilich bei einem Bauvolumen von fünf Millionen Euro ausgeschlossen ist.

Schon allein die Summe, jedoch ebenso die Geschichte des Projekts Muldewehr hat immer wieder Kritiker auf den Plan gerufen. Spätestens seit 2011 wird öffentlich diskutiert, was an dieser Stelle passieren sol. Zunächst stand die Wasserkraftnutzung im Vordergrund. Es gab private Interessenten, manche sprangen ab, andere kamen nicht zum Zuge, auch weil, so der Vorwurf des Verbandes der Wasserkraftbetreiber Sachsen und Sachsen-Anhalt, die Sache vom Land unzureichend vorangetrieben wurde. Außerdem änderte der Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW) seine Meinung: Verkündete er im Mai 2011, eine Wasserkraftnutzung sei prinzipiell am Stadtwehr wirtschaftlich möglich, widerrief er sieben Monate später diese Aussage. Die Fischtreppe sollte damals, im November 2011, übrigens laut LHW-Chef Burghard Henning zwei Millionen Euro kosten. Heute sind es fünf Millionen Euro. Was diese vor allem teuer macht, ist ihre auf den Stör ausgerichtete Dimensionierung.

Der Stör, genauer der Europäische Stör, wanderte vor etwa 4500 Jahren in das Nordseegebiet ein und verbreitete sich in deren großen Zuflüsse wie der Elbe. Störe sind bis hinauf in die Moldau nachgewiesen – und waren gefragte Speisefische. Kein Wunder: Zu ihrer Geschlechtsreife mit 15 bis 20 Jahren bringen es die Tiere bereits auf Längen von 1,50 bis 1,80 Meter, und sie können durchaus im Alter von 80 Jahren 800 Kilo auf die Waage bringen.

Erstaunlich hohe genetische Vielfalt

Ende des 19. Jahrhunderts indes hatten Überfischung, Flussbaumaßnahmen und Wasserverschmutzung dem Europäischen Stör in Elbe und anderen Flüssen den Garaus bereitet. Lediglich in Frankreich hielt sich eine bescheidene Population. Gessner zufolge ist deren genetische Vielfalt immer noch erstaunlich hoch, weshalb die Gironde-Störe zur Nachzucht taugen von Fischen, die nun in den einstigen Stör-Gewässern ausgesetzt werden.

Die oftmals vorgetragene Kritik, existierende Fischtreppen oberhalb von Dessau seien sinnlos, weil das hiesige Wehr eine unüberwindbare Hürde darstelle, ist zumindest mit Blick auf den Stör müßig. Die Frage ist vielmehr: Kehren die Fische tatsächlich zurück?

Der bayrische Fischbiologe Manfred Holzner kennt die Mulde aus eigener Forschungsarbeit - und ist skeptisch. „Wir wissen zu wenig über den Stör“, sagt Holzner. Es gebe keine belastbare Datenbasis und deshalb seien Fragezeichen erlaubt.

Obwohl die Mulde als naturnaher Fluss gilt - sie ist es nur bedingt. 30 Kilometer oberhalb der Mündung senkt der Muldestausee die Strömungsgeschwindigkeit des Flusses auf nahe Null und hält hinter seiner Mauer pro Jahr 400 000 Tonnen Geschiebe, Gesteine, zurück. Die fehlen im Unterlauf, weshalb der sich immer weiter eintieft. Eine Folge: Nebengewässer verlieren ihre Anbindung an den Fluss. Zudem sorgt der Hochwasserschutz für stark schwankende Pegel. Im öffentlichen Bewusstsein bleiben Hochwasser, tatsächlich führt die Mulde wie die Elbe nun seit Monaten Niedrigwasser. Holzner frotzelnd: „Bei einem Meter guckt ein Stör schon fast aus dem Wasser.“

„Blinder Aktionismus“?

Er rügt den „blinden Aktionismus“, der gelegentlich beim Umweltschutz herrsche - ein Prinzip, das von den anderen Disziplinen abgeschaut scheint. Für jedes Problem, das zur Lösung eines Problems geschaffen wurde, wird eine neue, kostenträchtige Lösung präsentiert. Holzner plädiert für mehr Ruhe, für mehr Forschung - und für kleine Maßnahmen, bevor zu den großen gegriffen wird. „Nicht immer hilft viel auch viel.“

Ob nun Gessner mit seiner Begeisterung oder Holzner mit seiner Zurückhaltung im Fall Dessau recht behalten wird, kann nur die Zeit erweisen. Bis dahin werden zumindest kleinere Fischarten nach Fertigstellung der Dessauer Anlage einen superbequemen, weil breiten Aufstieg vorfinden. Wenn ihnen denn auch alle anderen Parameter wie zum Beispiel die Strömungsgeschwindigkeit in der Mulde passen. Was aber wieder ein ganz anders Thema ist. (mz)