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Ausgrabungen in Flössergasse Ausgrabungen in Flössergasse: Scherben lösen altes Rätsel zur Dessauer Geschichte

Von Silvia Bürkmann 17.07.2019, 05:00
Die Archäologen und Grabungshelfer legen Häuser und Keller der Gründerzeit frei. Im Hintergrund nimmt der Neubau Gestalt an.
Die Archäologen und Grabungshelfer legen Häuser und Keller der Gründerzeit frei. Im Hintergrund nimmt der Neubau Gestalt an. Thomas Ruttke

Dessau - Jetzt regieren wieder Bagger, Krane und Betonmischer auf der Baustelle Muldstraße/ Ecke Flössergasse. Die Archäologen haben hinter dem Schulhof der einstigen Rathausschule auf rückwärtigen Parzellen der ehemaligen Flössergasse und Breiten Straße die Daten des Bodendenkmals gesichert und dokumentiert.

Das rund 2.000 Quadratmeter große Areal ist planmäßig wieder an den Tiefbau übergeben worden. Hier soll demnächst die Tiefgarage für die Mieter des Neubaus der Wohnungsgenossenschaft entstehen. Der Rohbau des Viergeschossers reckt bereits seine ersten drei Stockwerke empor.

Ehe jedoch die Archäologen und Bodendenkmalpfleger des Landes Sachsen-Anhalt gänzlich das Feld räumen, untersuchen und sichern sie noch Funde am Rand der Ausgrabungsfläche. Bis zum Freitag kommender Woche, (26. Juli) haben sie noch Zeit.

In zwei Grabungsabschnitten legten Archäologen den Blick in die Dessauer Vergangenheit frei

So wurden bei den Arbeiten entlang des früheren Verlaufes der Breiten Straße im ausgehenden 19. Jahrhundert bis etwa 1890 Reste eines so genannten „Knüppeldammes“ entdeckt. War das möglicherweise ein früherer Bürgersteig, der die Wege passierbar machte in der durch Flussnähe häufig durchnässten „Muldvorstadt“? Die Untersuchung läuft.

In zwei Grabungsabschnitten legten die Archäologen seit Dezember 2018 den Blick in die Dessauer Vergangenheit frei, bevor das innerstädtische Areal in Rathausnähe neu bebaut und überformt wird. Aus Archäologensicht ist das gesamte Gelände der Muldvorstadt geprägt von „großflächigen Störungen“.

Nach den Verheerungen des 2. Weltkrieges und der Bombenangriffe versank der historische Stadtteil zuerst unter meterhohen Schuttbergen, um dann Anfang der 1970er Jahre fast vollständig abgerissen zu werden. Damals verschwanden auch alte Straßenführungen. Mit den neuen Wohnblocks entstand ein völlig neues Straßennetz.

„Noch nie haben wir in Dessau so viel ’geballte Neuzeit’ gefunden“

Im ersten Ausgrabungsabschnitt wurden bis Februar 2019 16.000 Fundstücke gesichert. Als Glücksgriff galt damals ein mit der Jahreszahl 1586 versehener Keramikteller, der auf einen vorzeitlichen Töpfereibetrieb hinwies. Eine erste Auswertung datiert 95 Prozent der Funde in die archäologische Neuzeit ab 1500. Einzig 800 Fundstücke stammen aus dem „Mittelalter“ davor.

Dieser Trend setzte sich im nun zu Ende gehenden 2. Grabungsabschnitt fort. „Wir waren hier voll in der Neuzeit“, sagt Grabungsleiter Ulf Petzschmann kurz vor der Heimreise nach Halle zum Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt und zu den Mitstreitern im Anhaltischen Förderverein für Naturkunde und Geschichte.

Zu einer ersten Einschätzung aber findet der Archäologe schon jetzt: „Das war eine außergewöhnlich interessante Grabung. Noch nie haben wir in Dessau so viel ’geballte Neuzeit’ gefunden.“

Hinweise auf gewerbliche Töpferei zur Serienproduktion verdichteten sich

Ans Tageslicht geholt wurde erneut ein spannender Scherbenhaufen. Die Hinweise auf gewerbliche Töpferei zur Serienproduktion verdichteten sich, als die Archäologen und Grabungshelfer seltene, gut erhaltene Matrizen fanden. Diese Formen wurden als Negativ für reproduzierbare, serielle Herstellung detailreicher Ofenkacheln genutzt. „Diese Matrizen wurden sicher gehütet in der zentralen Werkstatt. Uns war klar, dass die Residenzstadt Dessau so einen Betrieb hatte. Wir wussten nur nicht, wo. Bisher.“

Neben den Scherben wurden erneut Öfen und Brunnen gefunden. Einer fiel durch seine eckige Form auf und weil er als einziger einen Unterbau aus Holz hatte. Kann hier die Dendrochronologie der Baum-Jahresringe genaues zum Alter sagen? (mz)

Mit dem Neubau Flössergasse begann die Wohnungsgenossenschaft Dessau am Durchbruch zur Muldstraße im November 2018 mit dem symbolischen Spatenstich.

In einem viergeschossigen Neubau an der Ecke Flössergasse/Muldstraße sollen 32 Mietwohnungen entstehen. Die Genossenschaft geht von Investitionen für sieben Millionen Euro aus. Die Fertigstellung ist für den Herbst 2020 geplant.

Grabungsleiter Ulf Petzschmann bei der Fund-Dokumentation.
Grabungsleiter Ulf Petzschmann bei der Fund-Dokumentation.
Thomas Ruttke
Der Brunnen aus Bruchstein und Findlingen mit Holz-Unterbau gibt Rätsel auf.
Der Brunnen aus Bruchstein und Findlingen mit Holz-Unterbau gibt Rätsel auf.
Thomas Ruttke
Auch kleinste Töpfchen waren verziert.
Auch kleinste Töpfchen waren verziert.
Thomas Ruttke