Anhaltisches Legasthenie-Zentrum Anhaltisches Legasthenie-Zentrum: Wenn das Lesen zur Qual wird
Cobbelsdorf/MZ. - "Legasthenie", eine Teilleistungsstörung, stellte Therapeut Udo Döring nach mehreren Tests bei Tim fest. Die Eltern des Jungen hatten sich an das Anhaltische Legasthenie-Zentrum e.V. (ALZ) in Cobbelsdorf gewandt. Von dort wurden sie an das LRS-Dyskalkulie-Institut vermittelt, wo Udo Döring den Betroffenen Beratung und Therapie anbietet. "Legastheniker sind Menschen, die Schwierigkeiten im Erlernen der Schriftsprache und eventuell mit Zahlen beim Rechnen haben", erklärt Döring. Dabei seien Legastheniker weder krank noch dumm, betont er. "Zeigt man ihnen, wo ihre Begabungen liegen und wie sie damit umgehen können, ist es ihnen in kurzer Zeit möglich, die Schwierigkeiten zu überwinden", stellt der Therapeut fest. Voraussetzung hierfür sei lediglich der Wille des Kindes und seine Mithilfe.
Während die Betroffenen beim Schreiben und oftmals auch beim Rechnen große Probleme haben, seien sie andererseits oft künstlerisch und musisch kreativ, handwerklich begabt, hätten Fantasie, gute Menschenkenntnis und Erfindungsreichtum. Als Beispiele führt Döring Legastheniker wie Albert Einstein, Leonardo da Vinci und Walt Disney an.
Die meisten Kinder können dem zu großen Teilen abstrakten Unterricht in der Schule folgen. Ihnen genügt es, wenn Buchstaben und Worte an die Tafel geschrieben werden, um diese dann in ihr Heft zu übertragen. Das Denken von zwei Prozent der Menschen funktioniert aber etwas anders. Sie sind auf räumliche Darstellungen angewiesen, denken bildhaft, wofür die rechte Hirnhälfte zuständig ist. So bald eine Darstellung die Dreidimensionalität verlässt, wie das bei Schrift in einem Buch nun mal der Fall ist, versagen die Legastheniker. "Von selbst findet man da nicht heraus. Ohne Therapie kommen diese Kinder schließlich in die Lernbehindertenschule", gibt Therapeut Döring zu bedenken. Dabei könne ihnen mit speziellen Übungen geholfen werden. So
modelliert er mit den kleinen Klienten zum Beispiel Buchstaben aus Knetmasse, um ihnen eine räumliche Vorstellung von Schrift zu vermitteln. Erst wenn das Kind die Buchstaben beherrscht, wird mit dem Computer geschrieben.
Eine Befragung der Mutter zur Entwicklung des Kindes gehört eben so zur Therapie wie regelmäßige Übungen, eine Art "Gehirngymnastik", die auch zu Hause weitergeführt werden muss, das Kennenlernen von Lernmethoden und Meditation. "Ich gebe den Kindern Instrumente mit, mit denen sie ihren Alltag meistern können", merkt der Therapeut dazu an. Das Ergebnis klingt erstaunlich: Die Verbesserung um zwei bis drei Noten in einzelnen Fächern ist laut Döring durchaus die Regel. "Diese Chancen können Eltern ihren Kindern geben, wenn sie bei Auffälligkeiten so früh wie möglich Hilfe suchen", rät der Therapeut und betont: "Die erste Beratung bei uns ist kostenlos, das sponsert der Verein.
"Solche Auffälligkeiten sind zum Beispiel Schwierigkeiten bei Diktaten und beim Lesen, Silbenverbindungen werden nicht erkannt, das Kind überspringt Wörter und versteht nicht, was es liest, ähnlich klingende Laute können nicht unterschieden werden. Bei Dyskalkulie - der Rechenschwäche - werden unter anderem Zahlen nicht erkannt, Ziffern werden seitenverkehrt geschrieben oder vertauscht. Die Folge können Schulangst, aggressives Verhalten, Vereinsamung, Schlaf- und Essstörungen, psychosomatische Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen sein.
Wird ein "Antrag auf Eingliederungshilfe" gemäß Sozialgesetzbuch III, Paragraf 35 a des Kinder- und Jugendhilfegesetzes gestellt, kann das Jugendamt bzw. das Sozialamt eine Therapie für Legastheniker finanzieren. Voraussetzung ist ein ärztliches Gutachten, in dem festgestellt wird, dass bei dem Kind als Folge der Legasthenie bereits psychosomatische Störungen auftreten. "Viele Ämter sträuben sich, wenn es um die Finanzierung geht. Man sollte aber bedenken, dass Analphabeten oder des Rechnens unkundige Menschen zwangsläufig zu Sozialhilfeempfängern werden, was mit einer Therapie aber verhindert werden kann", mahnt Udo Döring.
Seinen Beruf als LRS-Dyskalkulie-Therapeut für Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) und Dyskalkulie hat er aus eigener leidvoller Erfahrung heraus ergriffen. "Zwei von meinen drei Söhnen sind betroffen", berichtet Döring. Als das bei seinem ältesten Sohn Florian festgestellt wurde, seien er und seine Frau "von Pontius zu Pilatus" gelaufen, weil weit und breit kein Ansprechpartner zu finden war. Schließlich habe ihnen eine Spezialistin, eine Ärztin aus Augsburg geholfen. Dank ihrer Therapie meisterte Florian die Sekundarschule und wechselt auf eigenen Wunsch im kommenden Schuljahr an das Lucas-Cranach-Gymnasium in Wittenberg. Die Ärztin gehört
übrigens heute dem fünfköpfigen Vorstand des Anhaltischen Legasthenie-Zentrums an.
Udo Döring studierte Pädagogik, Kinesiologie sowie LRS-Dyskalkulie-Therapie in Dortmund, Hamburg und Berlin. "Besser wäre es, wenn diese Themen im Pädagogik-Studium behandelt würden, dann könnten die Lehrer bei Auffälligkeiten den ersten Test mit dem Schüler selbst durchführen", kritisiert er. Heute bietet Döring für Lehrer Seminare zum Thema Legasthenie an. Er wird von Kindergärten angefordert, arbeitet in einer Bildungsstätte mit lernbehinderten Jugendlichen, die nicht ausbildungsfähig sind, sowie als Dozent bei der Ausbildung von Diplom-Kaufleuten und Fachwirten.
Was aber ist aus dem kleinen Tim geworden? Seine Therapie sei längst beendet, informiert Udo Döring und zeigt einen Brief, auf dem in fehlerfreier Handschrift steht: "Ich bedanke mich für die schöne Zeit bei Ihnen und freue mich über die großen Erfolge, die ich bis jetzt gemacht habe und auch weiterhin machen werde." Auch Tims Mutter hat sich in einem Brief beim LRS-Dyskalkulie-Institut für die große Hilfe auf dem Lebensweg ihres Sohnes bedankt.
Dienstags und donnerstags von 18 bis 20 Uhr kostenlose Beratung. Anmeldung beim Anhaltischen Legasthenie-Zentrum, Straße der Jugend 4 (Gelände der freiwilligen Feuerwehr), 06869 Cobbelsdorf, Telefon / Fax 034923-6 50 27. e-mail: [email protected] Spenden an den Verein auf das Konto Nr. 238670-903 BLZ 860 100 90 bei Postbank Leipzig.