Altes Theater Dessau Altes Theater Dessau: Slapstick Komödien und Klamotten
Dessau - Die stockend pulsierende Stadt, das Brett vor dem Kopf, die Missgeschicke am Reck: Doch die lebende Fotografie galt darüber hinaus als gefährlich. Bei einer Vorführung auf dem „Bazars de la Charité“ am 14. Mai des Jahres 1897 in Paris geriet der junge, gerade von den Brüdern Lumière angekurbelte Film durch einen Brand in eine erste Krise. Über 120 Menschen starben, Angehörige der guten, wohltätigen Gesellschaft, auch die Herzogin von Alençon, Schwester der Kaiserin von Österreich. Die Legende begründete damit die Abneigung der Oberschicht gegen das Kino.
Kopien statt Nitratfilme
Heute fallen Nitratfilme unter das Sprengstoffgesetz. Folglich zeigte Willibald Wunderlich am Freitag zum Stummfilm-Abend im Alten Theater Dessau Kopien. Wunderlich betritt als Neffe und Erbe des entschlafenen Professors Flimmrich die Bühne vis-à-vis der Leinwand. In Wirklichkeit heißt der Bühnenneffe David Böhler und ist Theatermeister am Anhaltischen Theater, ein Theatermeister mit einer Passion für den Film, mit einem Archiv und einem Kinoraum im Keller. Seine eigene Sammlung konzentriert sich auf Defa-Produktionen der Nachkriegszeit. Dem entspricht die aufgefahrene Projektionstechnik, der Tonkinokoffer Zeiss TK 35: Technik, die das Kino in Zeiten des wandernden Landfilmes mobil machte.
Der Tonkinokoffer TK35 der Firma Carl Zeiss Jena wurde in den 1950er Jahren für Filmvorführungen auf dem Land sowie für Freilicht-Vorstellungen entwickelt. Sechs Koffer bargen dabei Transformator und Verstärker, Lautsprecher, Zubehör und zudem zwei Projektoren, die ein Überblenden und somit pausenlose Vorführungen ermöglichten. Einen Kinogong gab es, und „Der Augenzeuge“ fand somit Einzug in jeden Kneipensaal.
Es ist Böhlers zweiter Kinoabend im Foyer des Theaters. Nach gezeigten Defa-Klassikern aus der eigenen Sammlung wurde nun ein Filmverleih bemüht. Es geht zurück, nah an den Ursprung, „in eine Zeit“, so Willibald Wunderlich, „wo man noch vom Kintopp sprach, wo Ladenkinos anstelle großer Filmpaläste zu finden waren“. Die Bilder lernten laufen, sprechen werden sie später.
Viele der gezeigten kleinen Einakter wurden am Anfang des 20. Jahrhunderts produziert, in Frankreich oder Deutschland, etwa von Pathé oder unter der Ägide von Oskar Messter, dem Pionier der deutschen Filmindustrie. Hierher zählt „Eine Fahrt durch Berlin“ aus dem Jahr 1910, ein Film, der den Großstadtsinfonien vorgreift, der in bewegten Bildern die Bewegung der Stadt einfängt. Und später explodiert die Gasanstalt in Hamburg. Gut zwei Dutzend Filme werden gezeigt, Dokumentationen, stumme Reportagen mit Kaiser und kleine Inszenierungen, Slapstick, Komödien und Klamotten.
Da gibt es pointierte Tritte zweier Turner am Reck oder in „La Planche“ den konfusen und schmerzhaften Transport eines geschulterten Brettes und mit „La fête a Gabrielle“ immerhin eine Fünf-Minuten-Komödie, in welcher sich ein verliebter Nachbar hinterlistig und coupletselig ins Herz der Angebeteten einzuschmeicheln sucht, indem er die Blumen des Nebenbuhlers klaut. Vergebens allerdings, wie der Auftritt des Schauspielers Patrick Wudtke als „Geräuschemacher“ in der hilflosen Gestik, die einen Sing-Star vor der Play Station oder einen Vorschul-Blockflötisten auf Irrwegen bewegen mag. Wie schön schwieg doch der Film, wie angenehm knisternd griff der Projektor in die Perforation - bis Rudi kam.
Dabei war es auch vorher nicht still. Aber die Musik zum Stummfilm stört keineswegs. Im Gegenteil. Korrepetitor Marius Zachmann folgt dem Geschehen am Klavier mit Feingefühl, als koloriere er die Streifen in Schwarz und in Weiß: Große Gespräche und kleine Retuschen, skurriles Augenzwinkern, Themen- und Tempiwechsel an jeder Ecke, knisternd und schweigend auch.
Entfesselte Geschwindigkeit?
Und auf der Leinwand spielen die großen Gesten, die rasanten Bewegungen, Fotos in Folge, welche die Trägheit des Auges gegen die Aktivität der Fantasie ausspielen. Am Ende sind die Beine gebunden, auch die der Honoratioren. Sie hüpfen und fallen und hüpfen. „Wie es noch kommen wird“ heißt der Film - „ein Zukunftsbild“. So würde es lustig werden, hüpfend, mit gebundenen Beinen, in entfesselter Geschwindigkeit.