3.000 Telefonanfragen in drei Monaten 3.000 Telefonanfragen in drei Monaten: Bauhaus Dessau erlebt im Jubiläumsjahr Bauhaus 100 erlebt einen echten Besucherwahnsinn

Dessau - Martina Koppe hat es eilig. Von den Meisterhäusern spurtet die zierliche blonde Frau zum Bauhaus zurück. Es ist nicht ganz leicht, Schritt zu halten. Koppe ist freiberufliche Gästeführerin und arbeitet für die Stiftung Bauhaus.
Gerade hat sie 20 Leuten die Meisterhäuser gezeigt - bereits ihre dritte Führung an diesem Tag. Es ist gegen halb zwei. Nun muss sie schnell weiter nach Törten, wo Führung Nummer vier auf sie wartet. „Gestern hatte ich sogar fünf Gruppen. Momentan ist das eben so, die Besucher werden immer mehr.“
21 Führungen jeden Tag, 3 000 Telefonanfragen in drei Monaten, 400-prozentige Steigerung der Nachfrage nach Gruppenführungen - das sind die Zahlen des Besucherwahnsinns, der die Stiftung Bauhaus aktuell voll im Griff hat. Ein Ende ist nicht in Sicht.
Allein im April wurden im Bauhaus 12.000 zahlende Besucher gezählt
„Wir hatten allein im April 12.000 zahlende Besucher“, sagt Nicole Prag vom Besucherservice. „2018 waren es im selben Monat 5.000.“ Im Mai rechnet Prag mit einer neuen Höchstmarke: 20 000 Leute erwartet sie. „Ich rede hier wohlgemerkt nur von Besuchern, die ein Ticket kaufen. In Wahrheit sind es noch viel mehr.“
Der Startpunkt des aktuellen Bauhaus-Hypes lässt sich für Nicole Prag ganz klar festmachen: Seit im Februar der ARD-Fernsehfilm „Lotte am Bauhaus“ durch die Wohnzimmer der Republik flimmerte, sei der Andrang immer weiter gestiegen. „Viele unserer Besucher wollen die Filmschauplätze sehen.“
An manchen Führungen am Wochenende nehmen bis zu 125 Interessenten teil
Die circa 20 Guides der Stiftung können den Andrang dabei schon jetzt kaum noch bewältigen. An den Wochenenden, so Prag, würden schon mal bis zu 125 Interessenten auf jede der öffentlichen Führung kommen. „Dann bilden sich Schlangen bis nach draußen.“ Jeder Guide kann aber nur maximal 25 Leute bewältigen. Deshalb würde jede öffentliche Führung bereits doppelt, am Wochenende sogar dreifach besetzt, und die Wartenden auf verschiedene Führer aufgeteilt.
Im Büro des Besucherservices stehen derweil die Telefone niemals still, beschreibt Prag die Situation. „Viele der Anrufer suchen händeringend Übernachtungsmöglichkeiten, wollen das volle Programm mit Gruppenführung und Frühstück im Bauhaus-Café buchen.“
Zimmer im Prellerhaus sind bis Dezember ausgebucht
Die 23 Zimmer, die die Stiftung im Prellerhaus anbietet, sind über das gesamte Jahr restlos ausgebucht. „Ein Doppelzimmer ist noch frei - im Dezember.“ Die Stiftung verweist an örtliche Hotels, es gebe jedoch Wochen, da ist die gesamte Stadt bereits restlos ausgebucht - rund um die Eröffnung des neuen Bauhausmuseums am 8. September ist das so.
Bei den sieben verschiedenen (nicht-öffentlichen) Gruppenführungen, die nur online gebucht werden können, müssen Interessenten inzwischen wochenlange Wartezeiten einplanen. Viele Anfragen kann Prag gar nicht mehr erfüllen und wird dann oft unwirsch von enttäuschten Menschen aufgefordert, doch mehr Führer einzustellen? „Mehr Guides? Wo sollen die denn noch starten?“, fragt Prag zurück. „Unser Platz in den Gebäuden ist begrenzt. 21 Führungen täglich, sieben Tage die Woche - das ist die absolute Grenze dessen, was möglich ist.“
Stiftung Bauhaus sucht derzeit nach neuen Guides
Um die vorhandenen Guides zu entlasten, suche die Stiftung gerade trotzdem händeringend zusätzliches Personal, vor allem Kunsthistoriker oder Architekten, Leute mit fachlicher Kompetenz. Denn das Publikum sei anspruchsvoll.
Die Tourist-Information der Stadt hat indessen schon aufgerüstet. „17 Leute haben wir in einem Gästeführerkurs zusätzlich ausgebildet. Sie sollen die 13 Guides, die wir schon haben, verstärken“, berichtet Anke John. Sie ist zuständig für den Bereich Gästeführung.
Bei den Stadtrundgängen hätten sich die Gästezahlen mindestens verdoppelt, sagt Guido Fackiner, Geschäftsführer der Stadtmarketinggesellschaft. Die Buchungen für Gruppenführungen über die Stadtinformation hatten bereits im April mit 280 die Zahlen von 2019, da waren es insgesamt 250, überschritten. „Ungebremst ist die Nachfrage durch Journalisten, hier sind wir an der Grenze der Leistungsfähigkeit“, so Fackiner.
50 Prozent der Gäste kommen aus dem Ausland angereist
Im Bauhaus-Café atmet Nicole Prag ein paar Sekunden lang durch. Sie ist verwundert, dass noch ein Tisch frei ist. Man bekomme hier zum Mittag kaum noch etwas, die Gastronomie stoße an ihre Grenzen. Auch im Besucherzentrum gehe es heiß her. „Es kommt von allen Seiten, die Mitarbeiterinnen reden sich den Mund fusselig.“ Denn viele Gäste kämen mit falschen Vorstellungen, hielten das Bauhausgebäude für ein Museum, fragten, wo denn die Ausstellung sei. Zurzeit komme auch immer mehr Tagestourismus aus Berlin oder Leipzig. Circa 50 Prozent der Gäste seien aus dem Ausland angereist.
Martina Koppes Meisterhausführung endet immer am Kandinsky/Klee-Haus. Man muss präzisieren: Sie endet davor. „Können wir nicht hinein gehen?“, fragt die Gruppe enttäuscht. Diesen Bau vor allem wollen sie erkunden. „Doch, Sie können im Anschluss mit ihrer Karte einzeln hinein gehen“, beruhigt Koppe. Allerdings werden die Besucher davor noch anstehen müssen. Immer nur 25 Personen gleichzeitig dürfen das Meisterhaus besichtigen. Um es mit einer Gruppe geschlossen zu betreten, wird es zu stark von Besuchern frequentiert. (mz)
