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100. Todestag von Julie von Cohn-Oppenheim 100. Todestag von Julie von Cohn-Oppenheim: Baronin mit dem großen Herz

Von Bernd Ulbrich 03.01.2003, 17:31

Dessau/MZ. - Julie von Cohn-Oppenheim (1839-1903) war Nachkommin von ursprünglich in Wörlitz ansässigen anhaltischen Schutzjuden, die durch ihre Geldinstitute für das wirtschaftliche und soziale Leben der ganzen Region große Bedeutung erlangt hatten. Ihr Großvater, Itzig Hirsch Cohn (1777-1863), hatte seit 1817 in Dessaus Kavalierstraße ein Bankgeschäft ("Leihhaus") betrieben und 1833 die Konzession zur Einrichtung der ersten Landessparkasse ("Anhalt-Dessauische Landessparkasse") erhalten. Ihr Vater, Baron Moritz von Cohn (1812-1900), hatte das Familienunternehmen erheblich ausgeweitet und war zu einem sehr reichen und einflussreichen Mann geworden. Seit 1859 war er Hofbankier des damaligen preußischen Prinzregenten und späteren Kaisers Wilhelm I., dessen 1848er Flucht nach England er mit finanziert hatte. Kaiser Wilhelm I., der Dessauer Herzog und weitere deutsche Landesherren dankten ihm die Dienste mit dem Adelstitel, hohen Orden und Ehrungen.

Die Stadt Dessau verlieh ihm 1892 das Ehrenbürgerrecht. Im gleichen Jahr stiftete der Jude Cohn den Dessauern ein patriotisches Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf dem Kaiserplatz (beim heutigen Landestheater), das 1942 abgebrochen und eingeschmolzen wurde. Auch der Rathausneubau (1899-1901) wurde von ihm großzügig unterstützt.

Als Moritz von Cohn starb, wurde sein Vermögen auf 40 bis 50 Millionen Reichsmark geschätzt. Die am 5. November 1839 in Berlin geborene Julie war Alleinerbin. Sie wuchs in behüteten Verhältnissen auf, heiratete Ferdinand Oppenheim, den Sohn einer Breslauer Bankiersfamilie, lebte lange in Berlin und in Wiesbaden und bereiste viele Städte und Länder. Sie war eine gesellige, temperamentvolle, warmherzige Persönlichkeit. Ihre Ehe blieb kinderlos. Ihr Mann erkrankte, und sie pflegte ihn aufopferungsvoll. Als gläubige Jüdin war sie engagiertes Mitglied des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und des Hilfsvereins deutscher Juden. Schon früh entfaltete sie ein reges Bildungs- und Kunstinteresse.

In Dessau wollte "die Baronin", wie sie allgemein genannt wurde, ihren Lebensabend verbringen. Durch den bekannten Architekten Alfred Messel (1853-1909) ließ sie sich 1900 bis 1902 in der Kavalierstraße, gleich neben dem alten Stammhaus ihrer Familie, ein prächtiges Palais errichten. Ein Zentrum des Dessauer gesellschaftlichen Lebens sollte dieses Haus werden, eine Stätte der niveauvollen Geselligkeit, der Musik und der Kunst. Eine Stätte der Wohltätigkeit ebenso. Wie schon ihr Vater - und noch weit intensiver als er - wollte Julie Cohn-Oppenheim mit dem ihr zugefallenen finanziellen Reichtum wohltätig wirken. Schon das kleine Mädchen, so ist überliefert, verschenkte einst auf der Straße seine Schuhe und lief in Strümpfen nach Hause.

Am 30. April 1901, am ersten Todestag ihres Vaters, wurde auch ihr die Ehrenbürgerschaft der Stadt Dessau zuerkannt. Am gleichen Tage wurde der Grundstein gelegt für eine weitere hauptsächlich von ihr finanzierte Dessauer Einrichtung: das städtische Armenstift (mit Arbeitsanstalt, Stiftswäscherei, eigener Schweinemast u.a.), welches zwei Jahre später (1903) "mit einem Bestande von 20 Männern, 16 Frauen und 10 Kindern" eröffnet wurde. Die angrenzende Straße erhielt damals den Namen Cohn-Oppenheim-Straße. Seit 1935 ist es die Fröbelstraße. Nach schwerer Zerstörung durch Bomben des Frühjahrs 1945 öffnete das ehemalige Armenstift 1951 als Helene-Lange-Feierabendheim wieder die Pforten. Jetzt ist es das Heim der Amalienhof Dessau GmbH.

Ihr stilvoll erbautes und eingerichtetes Dessauer Palais in der Kavalierstraße sollte Juli von Cohn-Oppenheim nicht mehr nutzen können. Sie starb am 5. Januar 1903 in Berlin unerwartet an einer Lungenentzündung und wurde in der Grabstätte ihres Vaters auf dem Dessauer jüdischen Friedhof beigesetzt. Das Grab ist erhalten. Ihr Palais, später "Messelhaus" genannt, wurde 1944 / 45 teilweise zerstört und Ende der 1950er Jahre abgetragen. Letzte Hausherren waren die Nazi-Gauleiter und "Reichsstatthalter" Loeper und Jordan. Heute steht auf diesem Gelände die Scheibe Nord.

Mit dem Tode der Baronin trat ein Testament in Kraft, das von der großen Freigebigkeit und der tiefen Humanität dieser Frau kündete - und der schon damals über Finanzschwäche klagenden Stadt Dessau wie ein Geschenk des Himmels in den Schoß fiel: Die Baronin hatte die Israelitische Kultusgemeinde Dessau und die Stadtgemeinde Dessau zu gleichen Teilen als Universalerben ihres Nachlasses eingesetzt. Wodurch, nach Abzug von großzügigen Schenkungen, jedem der beiden Erben ein Betrag von mehr als 5 Millionen Mark zufiel - nicht nur für Dessauer Verhältnisse eine Riesensumme.

An diese Schenkungen war die Bedingung geknüpft, dass das Kapital in Form einer Stiftung erhalten bleiben, die Zinserträge aber "für Werke allgemeiner Menschenliebe und Fürsorge ohne Unterschied des Bekenntnisses" verwendet werden sollten. Es wurden zwei "von Cohn-Oppenheim-Stiftungen" gebildet, eine städtische und eine der Dessauer Israelitischen Kultusgemeinde. Viele Jahre lang, bis Inflation und Nazizeit das Kapital schmelzen ließen und "umlenkten", kamen auf diese Weise der Stadt Dessau und den Dessauern sowie vielen Menschen und Einrichtungen in ganz Europa erhebliche Gelder zugute.

Noch in jüngster Zeit (1996) konnte eine in Aussicht genommene "Stiftung der Stadt Dessau" auf Restbestände des alten Stiftungsvermögens zurückgreifen. Inzwischen ist der einst so üppige Geldsegen fast gänzlich zerronnen. Von den Einrichtungen, Gebäuden, Denkmalen, die dem Wirken der Familie Cohn und Cohn-Oppenheim zu danken waren, hat nur ein Bruchteil die Zeitläufe überstanden.

Geblieben ist die Aufgabe des Erinnerns an eine große Wohltäterin und an ein lehrreiches, nachdenklich stimmendes Kapitel Stadtgeschichte. Und geblieben ist die Botschaft, die nach dem Willen der Stifterin unlöslich an ihre Gelder geknüpft sein sollte: Besitz existiert nicht um des Besitzes, Geld nicht um des Geldes Willen. Reichtum schließt soziale und moralische Verantwortung ein.

Im Stadtarchiv hält Erik Lindner (Hamburg) am 16. Januar, 19 Uhr, einen Vortrag über Julie von Cohn-Oppenheim.