Wolfener beim Impuls-Festival Wolfener beim Impuls-Festival: Die Freiheit nehm' ich mir

Wolfen/Halle (Saale) - Es ist alles eine Nummer kleiner in diesem Jahr. 2014 bei der XXL-Ausgabe des Jugendprojekts vom Impuls-Festival für Neue Musik zündeten rund 80 Jugendliche aus ganz Sachsen-Anhalt bei der Premiere im Kulturhaus Wolfen ein spielerisches Feuerwerk zum Thema „Heimat“. Die diesjährige Auflage ist wieder beim Normalmaß angekommen. 15 junge Leute zeigen, was für sie „Freiheit“ ist. Das Stück letztes Jahr lief in Dessau, Eisleben, Halle, dieses Mal spielt sich alles in Halle ab - Proben wie Aufführungen. Und auch die Akteure kommen aus der Saalestadt oder angrenzenden Orten. Alle - bis auf ein furioses Trio. Drei Jugendliche aus dem Altkreis Bitterfeld wollen unbedingt dabei sein bei dem Bühnenprojekt - und nehmen dafür die weitesten Anfahrtswege von allen auf sich.
Die 15-jährige Laura Klose und der fast zwei Jahre ältere Justin Otto sind Wiederholungstäter. Man kann auch sagen: Sie sind infiziert. Beide waren im vergangenen Jahr schon dabei. „Es hat solchen Spaß gemacht, dass ich das noch mal erleben wollte“, sagt die Schülerin von der Sekundarschule I Wolfen-Nord. Und doch ist alles anders, ist sie anders. Letztes Jahr war Klose anfangs schüchtern, unsicher. Diese Mal steht sie in vorderster Reihe, kann den vielen Neulingen helfen - sie weiß ja, wie hier alles so läuft. Denn auch das Produktionsteam mit Chefin Almut Fischer und Choreograf Felix Berner blieb gleich. „Es ist so toll, wie sich Laura entwickelt hat“, sagt Fischer.
Mit ihrer Begeisterung hat Klose ihre Freundin Vanessa Günz angesteckt. „Sie hat mir so viel vorgespielt vom letzten Mal, dass ich das auch mitmachen wollte“, erzählt die 15-Jährige aus Bitterfeld. Anfangs sei das nicht leicht gewesen. Denn in der neuen Inszenierung fällt kein einziges Wort. Alles wird getanzt und gespielt - Ausdruck pur. Und damit verständlich über sämtliche Sprachbarrieren hinweg. „Aber man muss sich schon überwinden, diese Schritte und Bewegungen zu machen und vor allem, sie sich zu merken. Das war schwer“, räumt Günz ein. „Aber inzwischen geht es gut.“
Seit einer Woche proben die Jugendlichen auf der Bühne in Halle - die ganzen Ferien hindurch. Da werden kleine Tische mal zur Video-Projektionsfläche, mal zum isolierenden Raum jedes Einzelnen. Choreograf Berner hockt vorn am Bühnenrand, hat alles im Blick, erklärt, korrigiert: „Ihr müsst schauen, dass ihr bei der Bewegung zusammen seid.“ Lässt die Passage wiederholen, lobt: „Besser“. In nur einer Stunde fügt er mit den Laien aus einzeln geprobten Bewegungen eine ganze Szene zusammen. So entsteht zur live gespielten Musik von Gediminas Gelgotas und Julia Wolfe ein Bilderreigen über Einsamkeit und Gemeinschaft, Widerstand und Ausbrechen - temporeich, expressiv und einfühlsam.
Mittendrin: Justin Otto. Einer von nur noch zwei Jungen. Schwierig oder gut? „Ich finde das eigentlich cool. Und mit Mädchen zu tanzen, ist ja auch schöner.“ Dabei war eine Zeit lang gar nicht klar, ob er dabeibleibt. Denn zu Schuljahresbeginn wechselte Otto vom Wolfener Gymnasium an das Filmgymnasium Babelsberg. Nun pendelt er zwischen dem Schulort Potsdam, dem Elternhaus in Salzfurtkapelle und dem Probenort Halle. Stressig, sicherlich. „Aber dort bin ich unter Gleichgesinnten und kann alles ausprobieren, was mich schon lange interessiert - schreiben, drehen, schauspielen.“ Sogar in einem ZDF-Film hat er vor kurzem mitgespielt. Dass hier im Freiheitsstück „nur getanzt wird, ist klasse“. Der Spaß ist ihm auf der Bühne anzusehen. Kraftvoll springt er immer wieder in die Luft, verliert auch mal die Balance und landet außerhalb des Sichtfelds. „Oh, das war jetzt zu weit“, kommentiert er, grinst und wiederholt die Szene.
Wenn sich am Sonntagabend im Puschkinhaus der Premierenvorhang hebt, soll schließlich alles klappen. Denn was da auf der Bühne passiert, kommt direkt von den Akteuren. Seit dem Frühjahr haben sie an Wochenenden und in den Sommerferien Ideen zusammengetragen, in Bilder verwandelt, im Percussions-Workshop mit Achim Gieseler ihr Gefühl für Rhythmus entdeckt und all das in Szenen transformiert.
Doch warum „opfern“ sie so viel Freizeit für letztlich drei Vorstellungen? „Weil es um mehr geht als um drei Aufführungen“, sagt Laura Klose. „Man lernt viel über sich selbst.“ Vanessa Günz findet, die Proben mit den anderen Jugendlichen seien spannender, als zu Hause abzuhängen. Sich künstlerisch auszudrücken und mit anderen was auf die Bühne zu bringen, ist für Justin Otto Anreiz genug. Er erinnert an die jungen Männer aus der JVA Raßnitz, die anfangs bei dem Projekt dabei waren, nun aber fehlen, da sie inzwischen entlassen wurden. „Schade“ findet das Otto, „gerade sie konnten zum Thema ,Freiheit’ noch mal eine ganz andere Sicht beisteuern.“
Und was ist nun für das Trio Freiheit? Eine Definition hat Klose nicht. „Das ist ein Gefühl.“ Günz denkt zuerst an die Familie, aber auch an den Drang, einfach nur noch raus zu wollen. Und Otto sagt: „Freiheit? Als ich im Sommer meinen ersten Berg bestiegen und über die Alpen geschaut habe.“ Freiheit sei eben ein bisschen unerklärlich. „Aber wenn ich auf der Bühne stehe und nach vorn renne, fühle ich mich auch frei.“
Vorstellungen von „Freiheit, die wir meinen“ im Puschkinhaus Halle am Sonntag um 18 Uhr, am 4. November um 19.30 Uhr und am 5. November um 11 Uhr

