"Wir wollen uns Gehör verschaffen"
BITTERFELD/MZ. - In dieser vom Arbeitslosenselbsthilfeverein Anhalt-Bitterfeld herausgegebenen Textsammlung präsentieren 17 direkt oder indirekt von Arbeitslosigkeit betroffene Autoren ihre Gedanken über das Thema. Und so geben die Alltagsgeschichten, Erfahrungsberichte oder auch Tagebucheinträge persönliche Einblicke in das Leben von Arbeitslosen, die Bedeutung von Arbeit und die Auswirkungen nach dem Wegfall des Arbeitsplatzes.
So wie eben Ingeborg Nowak, die zur Buchpremiere im Bitterfelder Rathaus am Donnerstag nicht erscheinen konnte. Ihren Text las Reinhard Waag. Und so erzählte der stellvertretende Vereinsvorsitzende die Geschichte einer Frau, die als langjährige Orwo-Laborantin mit dem Umbruch - so wie viele - ihre Arbeit verlor und durch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zunächst neuen Mut fasste. Aber: "Dann, nach anderthalb Jahren war alles vorbei. Für jeden von uns."
Eine Erfahrung, die für die Vereinsmitglieder auch ein Grund dafür war, sich zu organisieren und den Arbeitslosenselbsthilfeverein ins Leben zu rufen. "Betroffene helfen hier Betroffenen aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen", sagte Katja Münchow: "Im Mittelpunkt steht dabei die Selbsthilfe." Diese kann unterschiedlich ausgestaltet werden. Ein Weg dabei sei das Schreiben. Und so sprach Katja Münchow schon im Jahr 2006 den Vorsitzenden des Vereins für Kultur und Lebenshilfe, Peter Hoffmann, an. Er leitete schon viele solcher Projekte, war selbst in einem "Zirkel schreibender Arbeiter" - die sich im Rahmen des "Bitterfelder Weges" gründeten - und studierte am Leipziger Literaturinstitut "Johannes R. Becher" Prosa und Lyrik.
Aber wie kann Literatur bei der Bewältigung von Arbeitslosigkeit helfen? "Die Menschen erfahren, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind", sagte Peter Hoffmann: "Sie erhalten ihre Sprache zurück und finden wieder Anschluss ans Leben."
So wie Christel Fichtner. Zwischen 1965 und 1989 war auch sie im "Zirkel schreibender Arbeiter" des Chemiekombinats und schrieb zwei Texte für das Buch. "Ich habe gegen die Situation angeschrieben", sagte sie und meint damit auch, die wahrgenommenen gesellschaftlichen und behördlichen Ressentiments gegenüber Arbeitslosen und deren soziale Stigmatisierung. Auch daher erfüllt dieses Buch für Peter Hoffmann unterschiedliche Funktionen: "Es kann zur gesellschaftlichen Bewusstseinsbildung beitragen, hat für die Schreibenden eine Art therapeutische Wirkung und könnte als zeitgeschichtliches Dokument ebenfalls Wert bekommen. "Und deshalb ist das Buch ,Vom Wert der Arbeit' ein politisches Buch, das zeigt, wie Arbeitslosigkeit tatsächlich empfunden wird und wie Arbeitslose wirklich sind", ergänzte Katja Münchow: "Durch die einzelnen unterschiedlichen Geschichten werden alle Facetten authentisch geschildert und vermittelt." In Anlehnung an den Bitterfelder Weg habe man auch daher die Buchpremiere auf den Vorabend des 50. Jahrestages gelegt, denn: "Wir wollen uns Gehör verschaffen." Dafür will sich auch die Bundestagsabgeordnete von der Fraktion "Die Linke", Elke Reinke, einsetzen: "Ich werde das Buch mit nach Berlin nehmen und Angela Merkel bei der nächsten Plenarsitzung auf den Tisch legen."
Die Anthologie "Vom Wert der Arbeit - Ein Buch als Selbsthilfe" kann unter der ISBN 978-3-940167-70-5 bestellt werden.