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Wie Wolfener Fabrik zum Vorreiter wurde Wie Wolfener Fabrik zum Vorreiter wurde: Farbstoff als Antibiotikum

Von Erhard Finger 27.09.2020, 10:00
Der Forscher Gerhard Domagk erhält den Nobelpreis, aus den Händen des schwedischen Königs.
Der Forscher Gerhard Domagk erhält den Nobelpreis, aus den Händen des schwedischen Königs.  Repros: Erhard Finger

Wolfen - Anfang der 1940er Jahre begann die Farbenfabrik Wolfen die Produktion des Antibiotikums Prontosil, das erste in Deutschland hergestellte Breitbandantibiotikum. Das war der Start zum Aufbau eines großen Pharmasortimentes in Wolfen und brachte der Fabrik den Begriff „Apotheke der DDR“ ein.

Wenn gerade mit Hochdruck an der Entwicklung eines Impfstoffes und Medikamentes zur Eindämmung einer Virus-Pandemie geforscht wird, sollte man daran erinnern, dass Wissenschaftler vor rund 100 Jahren genau so fieberhaft an der synthetischen Herstellung von Präparaten gegen bakterielle Infektionen arbeiteten. Bis man schließlich ein solches Antibiotikum in der Hand hatte, war es ein weiter Weg, der in der Antike begann. Erst Ende des 19. Jahrhunderts gelang der Durchbruch: Louis Pasteur entdeckte, dass sich Bakterien gegenseitig im Wachstum behindern.

Dann ging es Schlag auf Schlag: 1893 isolierte Bartolomeo Gosio aus einem Schimmelpilz die Mycophenolsäure, die Milzbranderreger eindämmte. Was die Bakterien in Schach hielt, erkannte erst über 30 Jahre später Alexander Flemming. Er synthetisierte die Chemikalie - das Penicillin. Ab 1941 wurde es industriell hergestellt in Großbritannien.

Synthetische Arzneimittel

Längst hatte man erkannt, dass die antibakteriell wirkenden Mixturen aus Naturprodukten den Bedarf nicht mehr decken können. Nur synthetisch hergestellte Antibiotika können hier weiterhelfen. So das 1910 von Paul Ehrlich eingeführte Arsphenamin. Das war nur ein Schmalspek-trum-Antibiotikum. Doch auch Kindbettfieber, Scharlach, rheumatische Erkrankungen, Herzklappenentzündungen und vieles mehr basierten auf bakteriellen Infektionen. Die Zunahme solcher Krankheiten war Anlass der Bayer AG in Wuppertal Elberfeld, verstärkt an chemotherapeutischen Antibiotika-Präparaten zu forschen. Was für ein Markt!

1932 synthetisierten Bayer-Chemiker den Azofarbstoff Sulfamidochrysoidin, der zum Färben von Textilien kaum Bedeutung hatte, aber als Medikament Geschichte schreiben sollte: Gerhard Domagk fand bei Versuchen mit infizierten Mäusen, dass die, denen man den Farbstoff verabreicht hatte, bakterienfrei wurden. Und: Die Chemikalie war auch erfolgreich gegen Staphylokokken, Colibakterien und weitere Bakterien. Damit war die breite Anwendbarkeit des ersten Antibiotikums auf Basis der Sulfonamide nachgewiesen. Domagk hatte das Rätsel gelöst: Die Azofarbstoffe werden im Körper zu Sulfonamiden abgebaut, die eigentlich wirksamen Substanzen.

1936 erschien das Medikament unter dem Namen Prontosil auf dem Markt. Dafür gab’s für den I. G. Farbenkonzern auf der Pariser Weltausstellung 1937 den Grand Prix und für Domagk 1939 den Medizin-Nobelpreis. Das Naziregime allerdings verwehrte ihm die Entgegennahme. Erst 1947 hielt er ihn in den Händen.

Bedarf ist enorm

Im Zweiten Weltkrieg stieg der Bedarf an Prontosil - zur Therapie Verwundeter. Doch das in England hergestellte Penicillin gab es in Deutschland kaum. Die Mengen von der Firma Schott in Jena reichten bei weitem nicht. Antibiotika wurden zur Schmuggelware. Man musste die Prontosil-Produktion schnell erweitern.

Das Naziregime war wie bei allen kriegswichtigen Erzeugnissen bestrebt, das Präparat an mehreren Standorten herstellen zu lassen. Das Risiko, dass die Produktion zusammenbricht, wenn Anlagen durch Bomben zerstört werden, wollte man auf keinen Fall. So wurde 1943 in Wolfen eine zweite Anlage gebaut. Erfahrung hatte man ja hier mit den Azofarbstoffen und so beste Voraussetzungen für die Herstellung von Prontosil. Später kamen vom Prontosil abgeleitete Präparate auf den Markt. Zwischen 1946 und 1950 folgte die Produktion des TBC-Medikamentes Wofapas und des Narkosemittels Anaestasin. Das Sortiment der Farbenfabrik im Jahr 1969, dem Ende ihrer Eigenständigkeit, umfasste 4.500 Chemikalien, darunter viele pharmazeutische Produkte.

(mz)

Das Produkt Prontosil in Pillen- und Ampullenform
Das Produkt Prontosil in Pillen- und Ampullenform
Gerhard Domagk
Gerhard Domagk