Vom Jugendwerkhof zum Internationalen Bund Vom Jugendwerkhof zum Internationalen Bund: Ein Gebäude und seine Geschichte
Wittenberg / MZ. - Es waren Alligatoren - "oder etwas Ähnliches", versucht Michael Werner sich an den Tag zu erinnern, an dem er 1989 den Jugendwerkhof in der Wittenberger Sternstraße 16 übernahm. Jemand hatte Werner in den Keller geführt. Dort war eine Duschkabine grün angestrichen worden. Sie soll der Haltung von Reptilien gedient haben. Näheres weiß Werner allerdings nicht. Und an eine Badeanstalt im Souterrain des Hauses kann er sich auch nicht erinnern. Die hat es aber gegeben. Früher einmal. Als das Gebäude, ein Lehrlingswohnheim, heute vor 99 Jahren eröffnet wurde, da beherbergte es unten im Keller ein Becken, "in dem neun Zöglinge gleichzeitig baden können", wie das "Wittenberger Tageblatt" in seiner Ausgabe am 19. Oktober 1904 berichtet hat.
So kommod ging es später freilich nicht mehr zu. Als zu DDR-Zeiten der Jugendwerkhof Wittenberg einzog - eine jener Besserungsanstalten, in denen aus pädagogisch schwierigen Fällen gute sozialistische Persönlichkeiten geformt werden sollten - da wurden nicht bloß die Fenster vergittert. Werner weiß auch von "Aufbewahrungszellen" zu berichten, die es gegeben hat. Dass die Zustände zumindest vereinzelt einem "Knast-System" geglichen haben, findet er und sagt: "Das lag am teilgeschlossenen Charakter des Hauses." Tagsüber waren die jungen Leute draußen in den Betrieben. Nachmittags wurden sie weggesperrt. Raus kam da ohne Weiteres keiner. Rein auch nicht. Rein? "Ja", sagt Werner. Auch diese Versuche habe es gegeben. "Wegen der Mädchen." Inzwischen ist alles anders. Fast alles. Denn wie zu früheren Zeiten, so werden auch heute noch Jugendliche in dem Haus betreut (siehe Kasten). Und wie damals sind es solche, deren bisherige Biografien aus den unterschiedlichsten Gründen nicht ganz glatt verlaufen sind. Aber die pädagogischen Ansätze haben sich grundlegend geändert, seit nach der deutschen Wiedervereinigung der Internationale Bund (IB) seine Fühler auch in Wittenberg ausstreckte - und in die Immobilie in der Sternstraße einzog.
Nun ist klar, dass sich niemand, eingeklemmt in der rauen Wirklichkeit eines arbeitsreichen Alltags, ständig an diese wechselvolle Geschichte erinnert. Da jedoch heute in zwölf Monaten das 100-jährige Bestehen des Gebäudes gefeiert werden soll, haben IB-Chef Werner und seine Mitarbeiter entschieden, eine Festschrift zu drucken. Weil das nicht ohne Zeitzeugen geht, hoffen sie nun auf reichlich Zuschriften von Menschen, die den Streifzug durch die Historie mit einem Kapitel beschreiben und bereichern können.
Fachliche Unterstützung habe man sich bereits geholt. So wird die Projektgemeinschaft Frauen, Landwirtschaft und Gesellschaft (Pflug) einen Mitarbeiter entsenden. Der soll sich an der Spitze der Arbeitsgemeinschaft, die eigens beim IB fürs Jubiläum gegründet wurde, mit der Geschichte befassen und den Kontakt zu Zeitzeugen pflegen.