Tante-Emma-Laden ist passé
Brehna/MZ. - Das war 1930. Inzwischen gibt es den einstigen Tante-Emma-Laden nicht mehr, der im Elternhaus vom jetzigen Firmeninhaber Erich Reiche untergebracht war. Denn das Haus wurde wegen Baufälligkeit schon vor Jahren abgerissen. Der 80-Jährige, dem man sein Alter weder ansieht noch anmerkt, führt den Lebensmittelmarkt heute gemeinsam mit Sohn Manfred.
Genau an der Stelle des einstigen Elternhauses entstand ein Neubau mit Imbiss. "Den betreibt meine Tochter Marion Wendland", setzt Erich Reiche hinzu, der das Kolonialwarengeschäft nach dem Tod seiner Mutter gemeinsam mit seiner Frau übernommen hatte. Doch die Zeit der Privatwirtschaft war für Reiches 1954 vorbei. Das Geschäft wurde verstaatlicht. Die HO hatte alles übernommen, und Erich Reiche als Verkaufsstellenleiter eingesetzt.
Inzwischen war der vom Vater gegründete Laden zu klein geworden. Ein Gebäude über die Straße, der ehemalige "Gasthof zum Pelikan", in dem der Konsum einen Möbel- und Industriewarenverkauf für eine gewisse Zeit betrieben hatte, bot sich an. "Das Gebäude, also unser heutiger Firmensitz, war total heruntergewirtschaftet", blickt Reiche zurück.
Nachdem die Stadt ihr Vorkaufsrecht nicht wahrgenommen hatte, kaufte er das Haus und baute es zu einer Lebensmittelverkaufsstelle um, die zu DDR-Zeiten bis weit über die Kreisgrenzen hinaus bekannt war. Denn wenn es nirgendwo Gurken, Paprika, Tomaten, "gutes" Bier und dergleichen mehr gab, "bei Reiche in Brehna bekommst du es ganz bestimmt", hieß es dann nur. Erich Reiche muss schmunzeln. Und ist auch ein klein wenig Stolz auf seinen guten Ruf, den er sich trotz schwieriger Marktlage bis zum heutigen Tag erhalten hat.
Nicht zuletzt seinem kaufmännischem Geschick hatte es Erich Reiche zu verdanken, dass er mit der Eröffnung des "Blauen Ochsen", wie die Kaufhalle im Zentrum der Kreisstadt, heute Qtec, im Volksmund hieß, am 1. Mai 1970 als Verkaufsstellenleiter von der HO eingesetzt wurde. "Aus sechs Monaten wurden zehn Jahre", erzählt der Senior. Die Geschäfte in Brehna hatte Sohn Manfred übernommen.
Ab 1980 zogen beide wieder am gleichen Strang. Obwohl sie und alle übrigen Mitarbeiter nur Angestellte der HO waren, die sich in das Grundstück von Reiches eingepachtete hatte, bestand eine Reihe von Direkt- und Sonderverträgen. So zum Beispiel mit den Gewächshausanlagen Vockerode, bei der es schon im zeitigen Frühjahr Tomaten und Paprika gab - Mangelwaren in der DDR. Weitere Verträge bestanden mit dem Schlachthof in Zerbst und der Krostitzer Brauerei. "Ware zu bekommen, war damals das A und O. Was uns als Selbstabholer eine Reihe von Vorteilen brachte", erinnert sich der 57-jährige Sohn Manfred. Heute sei die Ware da, die an den Mann beziehungsweise die Frau gebracht werden muss.
Da im Familienunternehmen Reiche immer gesund gewirtschaftet wurde - bis heute habe man keine Kredite aufnehmen müssen, so der Senior - gab es auch zur Wende keinen Einbruch. "Die Ware wurde von überall her geholt", erzählt Manfred Reiche. Vier Uhr am Morgen sei er auf Tour gegangen. Bis nach Braunschweig und Bayern wurde gefahren und alles herrangeschafft, was nötig war.
Mit der Eröffnung des Pep-Marktes in Brehna gingen die Umsätze bei Reiches trotzdem zurück. Allerdings sei man stolz, dass im Pep-Markt bereits zum dritten Mal der Großanbieter gewechselt hat. "Und wir sind immer noch da", frohlocken die drei Reiche-Männer auf. Denn der 28-jährige Enkel von Erich Reiche, Mark, ist nach dem Abi mit eingestiegen, hat eine kaufmännische Lehre absolviert und setzt so die Familientradition fort.
Da man heute von einem gesunden Wettbewerb nicht mehr sprechen und preislich mit den Großmärkten nicht Schritt halten kann, so der Senior, mussten neue Wege gefunden werden. Die Idee von einem Verkaufsmobil war geboren. Mit diesem ist nun Mark, Sohn von Manfred Reiche, täglich auf Tour und hat alles an Bord, was es im Geschäft auch gibt. Vor allem fährt er jene Orte an, in denen es keine Lebensmittelverkaufsstelle mehr gibt. Der mobile Laden ist groß genug, dass die Kunden mit dem Körbchen in der Hand einkaufen können. Und es gibt keine Preisaufschläge, setzt Erich Reiche hinzu.