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Steinwürfe auf Parteibüros Steinwürfe auf Parteibüros: Die Situation in Bitterfeld spitzt sich zu

Von Katrin Löwe und Lisa Garn 17.05.2015, 18:55
Sebastian Striegel kehrt die Scherben vor dem Büro der Grünen zusammen.
Sebastian Striegel kehrt die Scherben vor dem Büro der Grünen zusammen. Georg Wenzel Lizenz

Bitterfeld - Wieder blieben nur Glasscherben zurück: Bereits zum dritten Mal innerhalb von zehn Tagen ist in der Nacht zum Samstag in Bitterfeld ein Wahlkreisbüro der Linken von Unbekannten attackiert worden. Zudem wurde die Scheibe eines Grünen-Regionalbüros eingeworfen. Damit spitzt sich schon länger aufgeheizte Situation in der Stadt weiter zu. „In Bitterfeld versuchen Neonazis bereits seit Wochen ein Klima der Angst zu schaffen“, sagte die stellvertretende Landesvorsitzende der Linken, Henriette Quade. Und: „Wir werden uns nicht einschüchtern lassen.“

Wie die Polizei mitteilte, warfen die Täter gegen ein Uhr nachts zwei Scheiben des Linken-Büros mit Steinen ein. Eine Zeugin habe nur noch ein Auto gehört, das in hohem Tempo wegfuhr. Am frühen Morgen sei dann die mit einem Gullydeckel zerstörte Scheibe des Grünen-Büros entdeckt worden. Sie war zuletzt schon einmal mit Farbe besprüht worden. Die Polizei hofft auf Zeugenhinweise, einer zum Grünen-Büro werde gerade geprüft, hieß es.

Noch gibt es für keinen der Fälle einen Verdächtigen. „Eine politische Motivation für die Taten liegt aber nahe. Der Staatsschutz ermittelt mit Hochdruck“, sagte Polizeisprecherin Doreen Wendland. In den vergangenen Wochen sei die Polizeipräsenz in Bitterfeld bereits erhöht worden, sagte sie. So sei auch in der Nacht zum Samstag neun Minuten vor der Tat eine Streife am Linken-Büro vorbeigefahren - ohne Auffälliges zu bemerken. Weitere Sicherheitsmaßnahmen würden nun mit allen Beteiligten abgestimmt, so Wendland. Aus taktischen Gründen würden dazu aber keine Details genannt.

Qualität und Intensität nimmt zu

Ausgangspunkt für die seit Februar zugespitzte Lage waren Mahnwachen, die es seit dem vergangenen Jahr an Montagen vor dem Bitterfelder Rathaus gab. Da dort auch Mitglieder der rechten Szene anwesend gewesen sein sollen, hatten links Orientierte dagegen protestiert. Inzwischen ist die Situation in der Stadt bedrohlich: So verübten mutmaßlich rechtsextreme Gruppierungen Anschläge auf Anhänger der linken Szene.

Ende März war ein Mann in seiner Wohnung geschlagen worden, seine Freundin wurde in den Bauch getreten. Ein paar Tage später tauchten zwei Vermummte an einer Wohnungstür in Greppin auf. Sie sollen einem Mann einen Schraubenzieher in den Oberschenkel gestochen haben. Am 9.?April sprangen vor dem Bahnhof zwei Männer aus einem Auto, um einen 16-Jährigen zu verletzen, der offenbar dem linken Spektrum angehört. Höhepunkt war Mitte April ein Brandanschlag auf das Alternative Kulturwerk in Bitterfeld. In der Nacht vom 17. zum 18. April trafen Molotowcocktails einen Wohnwagen, der in Flammen aufging.

Die Mobile Opferberatung Dessau zählt in Bitterfeld-Wolfen seit Ende Februar 14 gewalttätige Attacken insbesondere auf linke Jugendliche und Erwachsene. „In der Qualität und Intensität habe ich das in vielen Jahren noch nicht erlebt“, sagte Marco Steckel von der Opferberatung. 2014 habe es im gesamten Landkreis fünf Angriffe gegeben, davon drei in Bitterfeld-Wolfen. Ein Teil der Attacken auf Wahlkreisbüros ist in der jüngsten Statistik nicht enthalten - wohl aber die beiden Fälle, in denen sich noch ein Mitarbeiter einer Firma in den - äußerlich nicht erkennbar getrennten - Räumen aufhielt. Beide Male wurde Reizgas versprüht.

Schauplatz von mehreren Demos

Abgesehen von den Angriffen war die Stadt in den vergangenen Wochen Schauplatz von mehreren Demos. Zuletzt hatten sich am Sonntag vor einer Woche rund 80?Rechtsextreme auf dem Markt versammelt und offen Personen aus der linken Szene und Journalisten gedroht. Danach protestierten etwa 400 Anhänger des linken Spektrums gegen rechte Gewalt.

In der Kritik steht inzwischen die Lokalpolitik: Das Problem werde ignoriert. So hatte der Grünen-Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel dazu aufgefordert, eindeutig Position zu beziehen und aktiv zu werden. Auch der SPD-Ortsverein meldet sich nun zu Wort: „Wir fordern die politischen Verantwortlichen in der Stadt, insbesondere die Oberbürgermeisterin, auf, die Vorgänge nicht länger totzuschweigen und endlich offensiv anzugehen.“ Ähnlich urteilt die Mobile Opferberatung: „Was gar nicht geht ist, dass Stadt und Zivilgesellschaft schweigen. Das ermuntert die Täter weiterzumachen.“

Die Stadt Bitterfeld-Wolfen hatte bisher lediglich einen offenen Brief an die Einwohner veröffentlicht. Darin wandten sich Oberbürgermeisterin Petra Wust (parteilos), der Stadtrat und die Ortsbürgermeister allgemein gegen Gewalt und forderten zu einem Bekenntnis zu Demokratie und Toleranz auf. Doch nach der Gewaltzuspitzung in den letzten Wochen gab es weder eine klare Stellungnahmen noch Aktionen. Ein für den 1. Mai geplantes Fest mit dem Titel „Bitterfeld zeigt Gesicht“ sagte die Stadt kurzfristig ab - offenbar, um eine Eskalation zu vermeiden. (mz)

Das Büro der Linken in Bitterfeld-Wolfen wurde mehrfach attackiert.
Das Büro der Linken in Bitterfeld-Wolfen wurde mehrfach attackiert.
Georg Wenzel Lizenz
Mit Molotow-Cocktails wurde dieser Wohnwagen in Brand gesetzt.
Mit Molotow-Cocktails wurde dieser Wohnwagen in Brand gesetzt.
dpa Lizenz