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Sportler beim Stadtfest Sportler beim Stadtfest: Vom Schafott hintern Tresen

Von Thomas Tominski 31.05.2004, 13:14

Wittenberg/MZ. - Rückblick: Vor fünf Jahren begeisterte das Wittenberger "Bauernvolk" das Publikum mit einer im Mittelalter alltäglichen Prozedur. Dieb gefangen, Geständnis per Folter entlockt, dem Vollstrecker zur Verkürzung einer Armhälfte vorgeführt. Der Sünder war auf das moderne Rollenspiel gut vorbereitet. Ein mit Watte gefüllter Stoffbeutel diente als verlängerte Hand, Henker und Dieb hatten sich im Vorfeld auf die imaginäre Schnittstelle verständigt.

Alles funktionierte reibungslos - fast alles. Sonnenschein plus Gerstensaft ließ alle Absprachen in Vergessenheit geraten, das Volk tobte, am realitätsnahen Ausgang der Prozedur fehlten nur wenige Millimeter. Der 40-jährige Steffen Calow, damals noch als Kraftsportler beim SV Einheit aktiv, verbog zudem das vom Dieb selbst mitgebrachte schottische Highlander-Schwert, nach überstandener Show schworen beide dem Flaschengeist ab. Der Henker kleinlaut: "Ich war schlagartig nüchtern. Meinen Alkoholkonsum habe ich sofort auf Null reduziert." Bei den nächsten beiden Auftritten klappte die Absprache besser, die Belohnung passte in ein Halb-Liter-Glas.

Inzwischen hat Calow die Angst einflößende Kutte gegen die Tracht eines Bauern aus der Zeit Martin Luthers getauscht, seine Kraftausbrüche nutzt der Handballer der TSG Wittenberg zur Präsentation des vereinsinternen Standes. "Vor ein paar Jahren stand ich drei Tage fast allein hinterm Tresen. Alle Einnahmen sind damals in unsere Nachwuchs-Abteilung geflossen."

Der gewünschte Nebeneffekt trat schnell ein, als Dankeschön übernahmen die jungen Sportler zugewiesene Aufgaben. Inzwischen avanciert der TSG-Stand zum Sammelpunkt aller Handballer der Lutherstadt, die schwarz-gelben Fahnen weisen selbst im dicksten Getümmel den Weg. Der Sinn fürs Außergewöhnliche machte den Treff zum Selbstläufer. Selbst XXL-Mann Calow zwängte sich hier in einen Trainingsanzug der Größe 164, oder eine Schaufensterpuppe zeigte per Körperhaltung den Ist-Zustand ihres alkoholisierten Seelenlebens an. "Es macht Riesenspaß. Das Interesse, zu polarisieren, ist bei allen Mitgliedern groß."

Neue Idee: Tourismus und Sport verbinden. Die Handballer der TSG nehmen in diesem Jahr an einem Turnier des TSV Vestenbergsgreuth (Bayern) teil, der ausgespielte Wanderpokal-Wettbewerb soll 2005 in die Lutherstadt verlegt werden. "Großfeld-Handball im neu renovierten Arthur-Lambert-Stadion wäre bestimmt eine interessante Sache." Dass nebenberufliche Henker auch Trends setzen können, zeigt das Beispiel Calow. "Früher waren die Handballer des SV Grün-Weiß und der TSG Wittenberg zerstritten, heute lassen sie die Gläser gemeinsam an unserem Stand erklingen."