Simulierter Weltraumausflug Simulierter Weltraumausflug: Bitterfelderin nimmt an Mars-Mission auf Hawaii teil

Bitterfeld - Realer kann eine simulierte Mars-Mission kaum laufen: Bei einem Außeneinsatz funkt Christiane Heinicke (29) über das Mikrofon in ihrem Weltraumanzug an die wenige hundert Meter entfernte Station: „Meine Luftversorgung ist soeben ausgefallen.“ Obwohl sich die promovierte Wissenschaftlerin aus Bitterfeld auf halber Höhe des hawaiianischen Vulkans Mauna Loa und nicht auf dem Roten Planeten befindet, muss sie nun einen kühlen Kopf bewahren. Denn als Mitglied einer sechsköpfigen Crew ist sie ein Jahr lang von der Außenwelt isoliert. Das heißt: Heinicke und die anderen sind auf sich gestellt.
Lava-Boden vergleichbar mit Oberfläche des Mars
Das sieht die Raumerkundungssimulation namens „Hawaii Space Exploration Analog und Simulation“ (HI-SEAS) vor. Das von der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa finanzierte und von der Universität von Hawaii durchgeführte Projekt will bis Ende August nächsten Jahres Faktoren bestimmen, die die Gruppendynamik auf künftigen Missionen beeinflussen können. Weil der Lava-Boden des aktiven Vulkans vergleichbar mit der Oberfläche des Mars ist, steht die Station dort auf einer Höhe von 2.500 Metern. Dabei handelt es sich um eine zweigeschossige Kuppel mit einer Grundfläche von knapp 100 Quadratmetern.
Während sich unten die Gemeinschaftsräume mit Küche, Essbereich, Bad und Arbeitsraum befindet, sind oben sechs kleine Zimmer, die nicht mehr als ein Bett, einen Tisch, ein Regal und ein paar persönliche Gegenstände beherbergen. In dieser Station halten sich Forscher aus vier Nationen auf. Neben der Deutschen sind das ein Franzose, ein Engländer und drei US-Amerikaner.
Arbeit an Projekten
„Die größte Entbehrung bei diesem Vorhaben ist für mich, dass ich weder Wind noch Sonne direkt auf meiner Haut spüren kann“, schreibt Heinicke in einer E-Mail. Viel Zeit darüber nachzudenken, hat sie nicht. Während sich tagsüber jeder seinen wissenschaftlichen Projekten widmet, verbringt die Crew abends die Freizeit oft gemeinsam. „Nach dem Abendessen machen wir häufig etwas zusammen. Ich habe die drei männlichen Teammitglieder überredet, Salsa zu lernen, so dass wir jetzt an etwa zwei Abenden in der Woche tanzen.“ Dennoch bleiben räumliche Enge und Abgeschiedenheit allgegenwärtig.
Die Nasa interessiert, wie sich das Verhalten in der Gruppe unter den extremen Bedingungen verändert. Daher werden die Aktivitäten überwacht. An einigen Stellen im Habitat gibt es Kameras. Und alle Mitglieder müssen regelmäßig Fragebögen ausfüllen und sich gegenseitig einschätzen. So soll ermittelt werden, welche sozialen, geistigen und emotionalen Faktoren für die Teambildung wichtig sind. „Man stelle sich vor, nach einer mehrjährigen Mars-Mission kehrten die Astronauten mit leeren Händen zurück, weil sie aufgrund persönlicher Differenzen nicht zusammenarbeiten konnten“, sagt Heinicke.
Zwar habe man bislang auch bei der Simulation auf der Erde einige Probleme gehabt, „aber die konnten alle gelöst werden.“ Der Schlüssel sei, „Respekt voreinander zu haben, um sich nach Auseinandersetzungen wieder zusammenzufinden. Schließlich arbeiten wir an einem der größten Ziele, die die Menschen seit der Mondlandung vor sich haben.“
Ein Beitrag der Physikerin dazu sind Experimente zur Wassergewinnung. Die Versuchsanordnung erinnert an ein kleines Gewächshaus. Es fängt das Wasser auf, das aus dem Boden verdunstet. Um die Fortschritte zu dokumentieren, muss die Forscherin alle zwei bis drei Tage das Habitat verlassen. Eine willkommene Abwechslung, denn nur der Außeneinsatz oder das Laufband, aufgebaut vor dem einzigen Fenster, bieten die Möglichkeit, sich länger als 15 Sekunden in eine bestimmte Richtung zu bewegen. Die Halbkugel, in der die Wissenschaftler leben, hat schließlich nur einen Durchmesser von elf Metern.
Für die verständliche Beschreibung ihrer Forschungsarbeiten zur Strömungsmessung mit Hilfe von Magneten wurde sie im Jahr 2013 mit dem renommierten KlarText!-Preis der Klaus-Tschira-Stiftung ausgezeichnet. Zuletzt war Heinicke in der Ice Mechanics Group von Professor Jukka Tuhkuri an der Aalto University in Finnland beschäftigt, wo sie an numerischen Simulationen von Meereis arbeitete, das zum Beispiel an Leuchttürmen oder Schiffen zerbricht.
Um die Teilnahme an dem 365-Tage-Experiment für eine Mars-Mission auf Hawaii hatte die 29-Jährige sich im Frühjahr beworben. Bei einem Test in den Rocky Mountains stellte sie ihre mentale und körperliche Fitness unter Beweis - und qualifizierte sich damit für die sechsköpfige Crew. So ist die Ingenieurin Ende August als wissenschaftliche Leiterin des Teams in die simulierte Weltraumstation eingezogen.
Um nach draußen zu gelangen, muss sich Heinicke in einen Weltraumanzug zwängen. „Um hineinzukommen, braucht es drei Dinge: viel Zeit und zwei Helfer.“ Wenn sie den abgespeckten, aber dennoch 30 Kilogramm schweren und ungelenken Anzug samt Stromspeicher und Wasserbehälter übergezogen und die Schleuse verlassen hat, ist Vorsicht geboten. Der erstarrte, scharfkantige Lava-Boden lässt sich nur schwer begehen.
So auch nach einem mehrtägigen Sturm. Weil die Forscher in dieser Zeit die Kuppel nicht verlassen durften, treibt es Christiane Heinicke nun regelrecht raus. War das Wasser-Experiment trotz der widrigen Wetterbedingungen erfolgreich? „Als ein Crew-Mitglied und ich einen Hügel erklommen hatten, hob sich ein weißes Dreieck des Gewächshauses gegen den rostroten Untergrund und den blauen Himmel ab. Genau an der Stelle, an der wir es zurückgelassen hatten. Wir vollführten einen Freudentanz, so gut das in unförmigen Anzügen möglich ist“, so die Bitterfelderin.
Hoffnungsvoll schauen sie nach dem angeschlossenen Flüssigkeitsbehälter. Ergebnis: Er enthält Wasser. Zwar sind die 317 Milliliter nach fünf Tagen nicht viel. Aber mit einem ähnlichen Aufbau könnte man auch auf dem Mars trinkbares Wasser gewinnen.
Dass die wissenschaftlichen Außeneinsätze nicht ohne Risiko sind, erfährt Christiane Heinicke in jenem Moment, als ihre Luftversorgung ausfällt. „Mein Begleiter hat sofort versucht, die Stromzufuhr für das Lebenserhaltungssystem auf meinem Rücken neuzustarten. Allerdings erfolglos“, sagt sie. „Normalerweise ist man im Helm von einem konstanten Brummen und Sirren umgeben, jetzt aber war es auf einmal völlig still.“ Die Ventilatoren sind ausgefallen. Ohne sie sammelt sich Kohlendioxid und es kommt keine frische Luft mehr in den Anzug.
Auf sich allein gestellt
Hilfe von außen ist nicht zu erwarten. Da der Abstand zwischen Erde und Mars so groß ist, dass jedes Signal 20 Minuten unterwegs ist, hat man auch die Kommunikation während der Mission auf Hawaii technisch verzögert. So müssten die Crew-Mitglieder auf eine Antwort vom „Blauen Planeten“ 40 Minuten warten.
Daher entscheiden Heinicke und ihr Begleiter, so schnell wie möglich zur Kuppel zurückzukehren. Also geht es direkt in Richtung Luftschleuse. „Mein Helm war beschlagen und ich rang nach Luft.“ Wegen des simulierten Druckausgleichs müssen beide Astronauten fünf Minuten warten. „Ich setzte mich auf den Boden und lehnte mich zurück. Dann zwang ich mich, langsam und dafür tief durchzuatmen. Trotzdem fühlte sich meine Lunge leer an.“ Als die Luftschleuse sich öffnet, wird Heinicke sofort der Helm abgenommen. „Erst als ich verschwitzt, erschöpft und nach Luft schnappend dem Raumanzug entkam, war ich wirklich angekommen“, sagt sie. „In diesem Moment bin ich auf dem simulierten Mars gelandet.“ (mz)

