Schüsse auf Ehefrau in Roitzsch Schüsse auf Ehefrau in Roitzsch: Sechseinhalb Jahre Haft für 42-Jährigen

Dessau-Roßlau - Das Landgericht Dessau hat am Mittwochabend den 42-jährigen Carsten B. aus Roitzsch nach drei Schüssen auf seine Ehefrau zu sechseinhalb Jahren wegen schwerer Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Verstoßes gegen das Waffengesetz verurteilt. Zudem muss er ein Schmerzensgeld von 25.000 Euro zahlen. Die Staatsanwaltschaft hatte acht, die Verteidigung fünf Jahre gefordert.
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Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der Mann im Juni 2014 vor den Augen der gemeinsamen vierjährigen Tochter dreimal auf seine von ihm getrennt lebende Frau geschossen hat. Dass sie überlebte, grenzt an ein Wunder. Die Projektile zerrissen keine großen Blutgefäße, streiften aber Leber und Niere. Eine Kugel blieb in einem Lendenwirbel stecken, eine andere bahnte sich ihren Weg zwischen Herz und Herzbeutel. Das Opfer leidet bis heute unter Schmerzen, Panikattacken und gestörtem Geruchssinn. Die lebensrettende Operation hinterließ eine 31 Zentimeter lange Narbe.
Am letzten Verhandlungstag ging es um die Frage, ob B. im Affekt handelte. Gerichtspsychiater Bernd Langer hat sein mit 160 Seiten ungewöhnlich umfangreiches Gutachten zwei Stunden erläutert. Sein Fazit: B. befand sich zwar in einer psychischen Ausnahmesituation wegen der als zermürbend empfundenen Partnerschaft. Für eine Tat im Affekt seien die Abläufe aber viel zu komplex gewesen.
Langer skizzierte eine hochproblematische Beziehung zwischen dem introvertierten, leicht kränkbaren B. und seiner impulsiven Frau. Nach der Trennung habe sich bei B. das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, verstärkt. Anfangs habe er sie umstimmen wollen, später nur noch versucht, regelmäßigen Umgang mit seiner Tochter zu erreichen. Das wohl schon Wochen vor der Tat geschriebene „Testament“, das vom Ableben beider Eltern ausging, oder Äußerungen wie „Ich verliere mein Kind nicht allein“ gelten Langer als Beleg für B.’s (auto)aggressive Tatvorstellungen.
Die Frau des Angeklagten lebte von ihrem Mann getrennt und wollte am 22. Juni gegen 16 Uhr die vierjährige Tochter bei ihm abholen. Er lässt sie ein, schließt hinter sich Hof- und Haustür. Im Haus erkundigt er sich nach dem neuen Freund seiner Frau und sagt dann, es sei vorbei. Aus einem Klammerbeutel zieht er eine Pistole, bedroht sie mit der Waffe, doch die Frau stößt ihn zunächst weg. Dann gibt sie nach, steigt die Treppe hinauf, geht mit der Tochter auf dem Arm zum Küchentisch, wo ein fertiges „Testament“ liegt.
Darin steht, was nach dem Tod der Eltern mit dem Kind geschehen soll. B. verlangt, dass die Tochter ins Kinderzimmer geschickt wird, und schießt dann zum ersten Mal. Das Projektil trifft den Brustkorb des Opfers, doch der Frau gelingt es, ins Kinderzimmer zu laufen. Sie packt die Tochter, lässt sie aus dem Fenster gleiten, als sie der nächste Schuss trifft - in die Lendenwirbelsäule.
Sie merkt, wie ihr die Beine versagen, sie an Haaren und Gürtel gepackt und ins Wohnzimmer geschleppt wird. Hier schießt ihr Carsten B. ins Gesicht - die Kugel richtet schwerste Verletzungen an und wird später im Magen des Opfers gefunden. B. setzt sich nach dem Schuss hin, trinkt ein Bier und wirft, als sein Bruder klingelt, den Schlüssel nach unten. Wenig später wird er festgenommen.
Das Gericht folgte im Kern Langers Ausführungen. Es sah B. in einer psychisch schwierigen Situation, jedoch nicht im Zustand der eingeschränkten Steuerungsfähigkeit. Es ging davon aus, dass B. am Tattag die Waffe zunächst nur zur Einschüchterung einsetzen wollte. Möglicherweise habe sich der erste Schuss im Gerangel versehentlich gelöst, der zweite in den Rücken sei aber bewusst abgefeuert worden. Beim dritten Schuss ins Gesicht habe B. in Tötungsabsicht gehandelt.
Der Vorsitzende Richter Stefan Caspari räumte ein, dass es Laien schwer verständlich sei, warum B. dennoch nicht wegen versuchten Totschlags verurteilt werde. Er profitiere von der strafrechtlichen Konstruktion des „Rücktritts vom Versuch“. Seine Frau habe für B. erkennbar auch nach dem dritten Schuss gelebt, er habe keinen weiteren Tötungsversuch unternommen. Dass man den Strafrahmen von zehn Jahren nicht ausschöpfte, begründete Caspari so: Der Straftatbestand „schwere Körperverletzung“ schließe weit grausamere Taten ein. Man könne nicht durch die Hintertür eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags ins Urteil schmuggeln. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.