Perfekte Nische Reinhard Hensel repariert seit 30 Jahren Nähmaschinen in Bitterfeld
Der Sandersdorfer Händler und Mechaniker ist in der Bitterfelder Innenstadt seit dreißig Jahren eine feste Größe.

Bitterfeld/MZ - Wer sehen will, was es gibt, muss erst nähertreten in den meisten Läden. Und erst recht, wer den Chef sprechen und sich vielleicht von ihm beraten lassen will. Dieses „Reinkommen“ gilt vielen Händlern aber als kleine Hürde - die sich allerdings umgehen lässt, indem man seinerseits den Kunden entgegenkommt. Wie das gehen kann, erlebt man in der Bitterfelder Mühlstraße. Dort hat seit 30 Jahren der Sandersdorfer Reinhard Hensel seinen Laden - eins der ungewöhnlichsten und bemerkenswertesten Geschäfte weit und breit. Und dort steht ihm Ehefrau Martina hilfreich zur Seite.
Wenn es irgend geht, wenn kein sibirischer Winter herrscht oder es „junge Hunde regnet“, steht Hensel vor der Ladentür und macht genau das, was eins seiner beiden wirtschaftlichen Standbeine ist: Er repariert alte Nähmaschinen - eine selten gewordene Kunst, bei dem man dem inzwischen 71-Jährigen sogar zuschauen kann und darf, denn er hat seine Werkstatt nach draußen verlegt. Vor seinen Laden.
Der gelernte Elektromonteur geht um mit hauchdünnen Drähten und winzigen Schrauben
Hensel liebt das, was er macht. Denn er kann’s. Der gelernte Elektromonteur geht um mit hauchdünnen Drähten und winzigen Schrauben, mit kleinen Rädchen und Nähfüßchen als wäre diese Mini-Welt die normalste Sache. Und das tut er mit unendlicher Geduld. Basteln, montieren, tüfteln und probieren - das war schon als Kind sein Ding.
Später, in der Schule, kamen die schicken Miniradios und deren Transistoren dazu. Und die gute alte „Singer“, an der die Schüler damals das Nähen lernten. „Die Nähmaschine hat mich unwahrscheinlich fasziniert - die Mechanik, was da technisch passiert“, sagt er. „Und das ist heute noch so.“ Und dann kam der Modellbau, Technik en miniature. Lokomotiven und Waggons, Güter- und Personenzüge, Bahnhöfe, Wohnhäuser, Straßen, Berg und Tal und ganze Landschaften. Das ist Liebe. Das ist Hobby. Und das ist heute Lebensunterhalt.
Er und Ehefrau Martina sind in der Bitterfelder Mühlstraße sowas wie ein willkommener Anker
In seinem Geschäft gibt es so nichts, was es nicht gibt. Sogar ein kleines himmelblaues Dixi-Klo mit elektronisch schließender Tür. Hier wähnt sich jeder Modellbauer in einem kleinen Paradies. Und die meisten von ihnen wissen, ohne lange mit dem Blick sortieren zu müssen, wo das im Regal steht, was sie gerade suchen. Jetzt, vor Weihnachten übrigens sind es eine ganze Menge Kunden, die sich die Klinke in die Hand geben. Und das Schöne: Hensel kann auch manch unbezahlbaren technischen Ratschlag geben.
Überhaupt sind er und Ehefrau Martina in der Bitterfelder Mühlstraße sowas wie ein willkommener Anker. Der Postbote weiß, hier kann er seine Fracht abgeben, wenn der Empfänger nicht daheim ist. Der Handwerker weiß, hier kann er eine Nachricht hinterlassen. Und der vorbeigehende Bitterfelder weiß, dass es hier immer ein freundliches Wort und ein nettes Gespräch gibt. Manchmal erzählt Hensel auch höchst interessante Geschichten.
Bei Hensel kann man draußen zugucken, wie er mit den kaputten filigranen Dingen umgeht
Von damals, als er als Flugzeugmechaniker bei der Armee gedient und Legenden wie die sowjetischen MiG 15 bis MiG 21 oder die slowakischen L-29 und deren Elektro-Spezial-Ausrüstung gewartet hat. Erfahrungen und Kenntnisse, die Gold wert sind. Ob bei der Interflug damals oder den Nähmaschinen- und Modellbau-Fans heute - der Flugzeuginstandhaltungsmeister ist ein gefragter Mann.
Nur heißt es bei ihm im Geschäft nicht: „Sie müssen schon reinkommen.“ Bei Hensel kann man draußen zugucken, wie er mit den kaputten filigranen Dingen umgeht. Eigentlich wollte er nach seinem Job bei den Agrarfliegern, wo keiner nach Wind und Wetter fragte, nie wieder bei Wind und Wetter draußen arbeiten. „Tja, manchmal kommt es anders als man denkt“, meint er und lacht.