Raguhn-Jeßnitz wird digitaler Raguhn-Jeßnitz wird digitaler: Bürger sollen bald Anträge online stellen können

Raguhn-Jessnitz - Bernd Marbach (parteilos) hat im Januar 2017 den Bürgermeisterposten von Eberhard Berger (CDU) übernommen. Laut eigenen Angaben hadert er immer noch mit dem Erbe seines Vorgängers in Raguhn-Jeßnitz.
MZ-Redakteur Stefan Schröter hat sich rund ein Jahr nach seinem Amtsantritt mit dem neuen Stadtchef aus Jeßnitz unterhalten.
Ihr erstes Jahr als Bürgermeister in Raguhn-Jeßnitz geht bald zu Ende. Wie lief es für Sie?
Marbach: Ich hatte gewisse Vorstellungen von dem Amt und ging davon aus, dass ich zwei Jahre brauche, um ein bestimmtes Niveau zu erreichen. Aber nach einem genauen Blick in die Finanzübersicht entdeckten wir zum Beispiel einen Fehlbetrag von zwei Millionen Euro.
Ich brauche wohl insgesamt eher vier Jahre, um an den Punkt zu kommen, an dem die Verwaltung in einem Rhythmus arbeiten kann.
Aber diese Zahlen waren doch schon vor Ihrer Amtszeit vorhanden?
Marbach: Aber sie wurden nicht richtig erkannt.
Wie kann das sein?
Marbach: Es gab Probleme, Einnahmen zu generieren. Das sieht man nicht sofort. Das extremste Beispiel sind die Straßenausbaubeiträge in Thurland. Die Beiträge für die Straßenanlieger wurden ermittelt, aber die Bescheide sind nie an die Grundstückseigentümer versandt worden.
Im Haushaltsplan wurden aber 100 000 Euro Einnahmen aufgeschrieben. Und das über mehrere Jahre. Dadurch hat sich insgesamt eine halbe Million Euro ohne Gegenfinanzierung angehäuft. Das ist sehr verhängnisvoll.
Kann man denn die Straßenausbaubeiträge noch nachträglich einholen?
Marbach: Das werden wir. Die Grundstücksanlieger bekommen 2018 noch Post. Wir haben rechtlich prüfen lassen, dass das legitim ist.
Wie groß ist die finanzielle Not der Stadt?
Marbach: Die Unterfinanzierung der Kommunen ist ein Problem. Wir erhalten 2,7 Millionen Euro vom Land an finanziellen Zuweisungen und zahlen 3,3 Millionen an Kreisumlage an den Landkreis Anhalt-Bitterfeld.
Wie kann so etwas möglich sein? Und obwohl die Kreisumlage sinkt, müssen wir stetig mehr zahlen. Das hängt von der Einwohnerzahl und der Steuerkraft ab. Wir haben zwar Gewerbegebiete in Thurland und in Raguhn, aber da ist das Steueraufkommen derzeit nicht so hoch.
Das bereitet mir Sorgen. Wir müssen unsere Gewerbegebiete mit mehr Unternehmen füllen. Da gab es in den letzten Jahren keine Entwicklung.
Warum nicht?
Marbach: Für Thurland haben wir einen neuen Bebauungsplan und es gibt auch Ansiedlungswillige, aber eben auch Probleme. Das Grundstück muss noch erschlossen werden.
Da das Projekt einen Eingriff in die Natur bedeutet, müssen wir sogenannte Ausgleichspflanzungen in dem gleichen Ort vornehmen.
Dafür wollen wir Flächen im bestehenden Gewerbegebiet erwerben, auf welchen Bauschutt gelagert wird. Es stocken jedoch die Verhandlungen seit Jahren mit einem Privateigentümer. Wir kommen im Moment also nicht vorwärts, die Standortentwicklung wird verhindert.
Und wie geht es nun weiter?
Marbach: Wir bieten Gesprächsbereitschaft an beziehungsweise möchten diese weiterführen und wünschen ein einvernehmliches Ende.
Vor ihrem Bürgermeisterposten haben Sie ein Ingenieurbüro in Wolfen geleitet. Wie sehr hat sich Ihr Arbeitsaufwand geändert?
Marbach: Es ist nicht mehr und auch nicht weniger geworden. Da brauchte ich mich nicht umzustellen. Ich arbeite aber nicht mehr nachts im Büro. Manchmal hatten wir dort bis Mitternacht zu tun. Jetzt ist spätestens 22 Uhr Schluss.
Worauf sind Sie jetzt schon stolz, dass Sie es erreicht haben?
Marbach: Dass wir die Fußgängerbrücke am Jeßnitzer Bahnhof wieder freigeben konnten. Das ist einer der wichtigsten Aspekte. Während meiner Bürgermeister-Kandidatur haben mich viele Menschen darauf angesprochen.
Bei ihnen hatte die Freigabe höchste Priorität. Hier danke ich auch dem Oberbürgermeister der Stadt Bitterfeld-Wolfen für seine Unterstützung.
Sie haben im letzten Interview davon gesprochen, die Digitalisierung in der Verwaltung voranzutreiben. Wie ist der Stand aktuell?
Marbach: Wir wollen das E-Government einführen. Dafür berät uns jetzt das Wirtschaftsministerium des Landes. Denn wir müssen sensibel mit den Daten der Bürger umgehen.
Warum wollen Sie das einführen?
Marbach: Wir wollen effektiver in der Verwaltung arbeiten. Dafür müssen wir bei der Technik einen Schritt nach vorn machen. Unsere Verwaltung ist im Schnitt 40 Jahre alt, also relativ jung. Das ist günstig für dieses Vorhaben.
Was ändert sich durch die Digitalisierung für die Einwohner?
Marbach: Der Bürger bekommt die Bescheide weiterhin in Papierform. Man kann dann aber auch auf unserer Homepage Anträge stellen und erhält teils digitale Antworten. Zum Beispiel, wenn jemand ein Osterfeuer anmelden will.
Für Betriebe wird die elektronische Rechnung kommen. Handwerker können dann ihre Rechnung digital an die Stadt schicken, wenn sie etwas in unserem Auftrag erledigt haben.
Was sind die Vorhaben der Stadt für 2018?
Marbach: Wir haben viele Förderanträge gestellt und wollen weitere einreichen. Zum Beispiel für die Begegnungsstätte Raguhn.
Dort sollen alte Gebäudeteile abgerissen werden, damit wir künftig den Bauhof zentralisieren können. Bisher ist deren Technik auf mehrere Ortschaften verteilt.
Einst war angedacht, dass in dem Gebäude die Feuerwehr einziehen soll. Jetzt also der Bauhof?
Marbach: Die dortige Halle eignet sich ideal dafür, es können Lager- und Büroräume eingerichtet werden. Für die Feuerwehr ist der Standort wenig praktikabel.
Insgesamt stehen aber auf der Vorhabenliste der Stadt für 2018 eher relativ kleine Maßnahmen: Zum Beispiel die Reparatur der Gehwege in Raguhn oder der Fugenverguss im Stadtgebiet. Bäckt die Stadt also erstmal kleinere Brötchen?
Marbach: Wir haben im Haushaltsentwurf für 2018 derzeit einen Fehlbetrag von 1,3 Millionen Euro und werden wohl vor 2020 nicht ins Plus kommen. Unser Reparaturstau ist enorm, zum Beispiel an der Kita Sonnenzauber und der Grundschule Raguhn. (mz)
