Puppenspiel Puppenspiel: Kasper wohnt im Koffer
Zörbig/MZ. - "Da wohnt der Kasper", sagt die fünfjährige Nicole und zeigt aufgeregt auf das rot-blaue runde Zelt mit dem spitzen Dach. Leuchtende Farben in der Sonne - ein heiterer Fleck auf dem sonst so grauen Schützenplatz in Zörbig. Doch hat Nicole nur bedingt Recht: In diesem geheimnisvollen Zelt spricht der Kasper zwar zu den Kindern, doch zu Hause sind er und seine hölzernen Gefährten in einem großen Koffer. Und dieser steht in einem der fünf Wohnwagen, die sich neben dem Pack- und Theaterwagen hinter dem Zelt gruppieren.
Puppenspieler sind in die Stadt gekommen. Sympathische, heitere Leute mit viel Gespür für die kleinen Kinderseelen. Die Familie Richter aus München - eine Dynastie innerhalb ihrer Gilde mit 150-jähriger Tradition. Denn schon der Urgroßvater des heutigen 63-jährigen Seniorchefs Egon Richter zog damals von Ort zu Ort und erstaunte die Zuschauer in Wirtshaussälen mit Stücken wie "Dr. Faustus" oder "Die Räuber." Nur, dass zur Ausstattung damals noch der Holzschindelwagen gehörte und die Ponys natürlich, die diesen zogen. Und noch etwas hat sich verändert seit damals: "Irgendwann", sagt Tochter Bettina Richter, "ist der Wilhelm Tell in der Puppenkiste verschwunden, und der Kasper kam."
Der ist es auch, der dem Unternehmen den Namen gibt: Richters Kasperl-Theater. Und der Kasper, der immer sein Bein über den Rand der Puppenbühne schlenkert und per Hand sorgfältig geschnitzt wurde, stammt noch vom Vater Egon Richters. Rund 40 Jahre ist der gute Kerl jetzt alt. Doch hat er Gefährten, die noch viel älter sind und zu Urgroß- und Großvaters Zeiten entstanden. "Die", sagt Egon Richter", "haben wir dem Deutschen Puppenmuseum in München gegeben."
Er selbst hat auch Puppen geschnitzt. Im gemütlich warmen Wohnwagen werden sie behutsam aus dem Koffer geholt und dürfen schon mal vor dem Spiel betrachtet werden. Große Puppen sind es, deren prägnante Gesichtszüge auch in der letzten Reihe erkennbar sind. Und man spürt, wie sehr auch Egon Richter das Material Holz zu schätzen weiß: Die Gesichter sind nur spärlich bemalt, "man soll das Edle schon erkennen", sagt er. Die Kostüme nähen Bettina und ihre Schwägerin Ilona. Diese wiederum ist mit Bettinas Bruder Matthias verheiratet, von dem der Vater sagt: "Er hat es von mir. Er ist Puppenspieler mit Leib und Seele." Ilona kommt aus dem Tschechischen und ist Trapezkünstlerin.
Doch gibt es noch andere Verflechtungen zur farbigen Welt des Zirkus: Bettinas jüngste Schwester Diana heiratete einen Zirkusdirektor, und auch die älteste Schwester Michaela zog es dorthin. Und man ist geneigt zu glauben, dass dies eben doch alles im Blut liegt, wenn die Seniorchefin Liane Richter von ihrer Mutter Mira erzählt, der schönen Seiltänzerin, in deren Zirkus sich 1944 ein desertierter Soldat versteckte und die Liebe seines Lebens traf.
Zwölf Erwachsene und vier Kinder umfasst die Gemeinschaft, die alljährlich von Ort zu Ort zieht, rund 200 Vorstellungen gibt, die Stücke selbst schreibt und auch die Bühnenbilder malt. Zur ihr gehört auch die neunjährige Madleen. Rund 50 verschiedene Schulen besucht sie im Jahr, für das kleine Mädchen eine ganz normale Sache. "Unsere Eltern haben uns nicht gezwungen, die Puppenspielertradition aufrecht zu erhalten", sagt ihre Mutter Bettina. "Und wir werden das auch bei Madleen nicht tun." Die lächelt. Und überlegt, ob sie später Artistin und Puppenspielerin werden will. "Erst mal die Schule", sagt die Mutter, "und dann sehen wir weiter." Obwohl: Ein kleines Debüt hat Madleen bereits in Zörbig: Sie steckt hinter der Hasenpuppe.
Vorstellungen sind am Sonnabend um 16 Uhr und am Sonntag um 15 Uhr auf dem Schützenplatz.