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Nach dem Deichbruch Nach dem Deichbruch: Retzauer auf den Barrikaden

Von Lisa Garn 02.09.2013, 12:36
Begutachten den Schaden: der Retzauer Ortsbürgermeister Friedhard Kolch (l.) und Thomas Nießner von der Wasserwehr. Beim Hochwasser 2013 brach der Deich bei Retzau auf 20 Metern Länge.
Begutachten den Schaden: der Retzauer Ortsbürgermeister Friedhard Kolch (l.) und Thomas Nießner von der Wasserwehr. Beim Hochwasser 2013 brach der Deich bei Retzau auf 20 Metern Länge. Thomas Ruttke Lizenz

retzau/MZ - Auf rund 20 Metern Länge ist der alte Deich bei Retzau gebrochen. Dass der Ort vergleichsweise glimpflich davon gekommen ist, sei reine Glückssache, sagen Einwohner. Als das Wasser in diesem Jahr ging, staute sich Wut an. Die Retzauer fordern nun massiv die Landesregierung und den Landesbetrieb für Hochwasserschutz (LHW) auf: „Baut endlich den neuen Deich. Wir sind hier nicht sicher“, so der Ortsbürgermeister Friedhard Kolch.

Er habe es satt, sich immer wieder an Ministerien zu wenden. „Seit mehr als zehn Jahren kämpfen wir für die Sanierung unserer Muldedeiche. Wir sind unglaublich wütend.“ Man will Klarheit im Ort. Denn der Besuch von Umweltminister Aeikens im April hat Ängste geschürt: „Klar wurde damals, dass es weniger Geld für den Deichbau gibt - wir befürchten, dass damit auch Retzau in weite Ferne rückt. Dabei steht die Landesregierung in der Pflicht.“ Im selben Monat schickte man ein Schreiben mit fast 300 Unterschriften an den Ministerpräsidenten und den Finanzminister von Sachsen-Anhalt - bislang ohne Antwort. „Es scheint niemanden zu interessieren.“

"Wir haben immer mehr Extremwetterlagen"

Die Geschichte um die Deichrückverlegung Retzau ist lang: 2005 wurden erste Planungen vorgestellt. Vier Jahre später bekamen die Einwohner einen neuen Verlauf zu Gesicht. Es musste umgeplant werden, weil auf der Vorzugstrasse Erdöl- und Gasleitungen verliefen - zu teuer. „Seitdem weiß hier keiner etwas über den Stand der Dinge.“ Ein vager frühester Baubeginn im Jahr 2015/16 sei nicht hinnehmbar. „Wir haben immer mehr Extremwetterlagen“, sagt Kolch. Weil inzwischen Deiche flussaufwärts gebaut sind, drücke im Ernstfall noch mehr Wasser auf die maroden Anlagen. „Die gesamte Ostflanke an der Mulde ist ungeschützt, dazu gehören Altjeßnitz, Retzau und Kleckewitz“, erklärt Thomas Nießner, Leiter des Wasserwehrabschnittes Retzau. Und wie lange der vor 1900 gebaute alte Deich für den Ort halte, sei ungewiss. „Er ist nach der Flut sehr schwammig. Ein zweites Mal hält er nicht“, ist sich Nießner sicher.

Man fühlt sich vergessen in Retzau: „Schon während der Flut tauchte der Ort in den Mitteilungen des Katastrophenstabes vom Landkreis gar nicht als evakuiert auf. Und es ist nun eine Farce, dass sich politische Vertreter nach der Flut nur dort blicken lassen, wo das Rampenlicht größer ist.“

Der LHW bekräftigt hingegen: Der Deich wird gebaut. Nur die Frage nach dem Wann kann niemand beantworten. „Ein Baubeginn 2015 wäre eventuell bei einem optimalen Verfahrensablauf möglich“, sagt der zuständige Flussbereichsleiter Frank Beisitzer. „Das hängt aber entscheidend vom Verlauf und der Dauer des Planfeststellungsverfahrens ab.“ Den Zustand des alten Deiches schätzt er nach einer Prüfung als „befriedigend“ ein - ausgenommen die Bruchstelle. Man gehe davon aus, dass er mittlere Hochwasser weiterhin „sicher abwehrt“. Bei Extremereignissen, vergleichbar mit der Flut 2013, allerdings „ist eine Gefährdung vorhanden“, sagt Frank Besitzer.

"Wir erwarten, dass dann schnell das Genehmigungsverfahren eröffnet wird"

Das Bauprojekt Deichrückverlegung hat sich hingezogen, das ist offensichtlich. Nach der neuen Planung ab 2009 folgten viele Diskussionen, zwei Jahre später begannen Untersuchungen zum Naturschutz. Ende 2012 legte der LHW die Unterlagen dem Landesverwaltungsamt vor. Im März forderte es weitere Untersuchungen und Ergänzungen. Bis Ende September sollen die Papiere vorgelegt werden. „Wir erwarten, dass dann schnell das Genehmigungsverfahren eröffnet wird“, so Beisitzer. Das Projekt sei mit hoher Priorität beim LHW eingeordnet. Es liegt nun am Landesverwaltungsamt. Die Kritik über unzureichende Informationen weist er insgesamt zurück. Die Stadt Raguhn-Jeßnitz sei im Flussbereich die Kommune mit den meisten Informationsveranstaltungen.

Das Umweltministerium hält ebenfalls am Bauprojekt fest. „Es ist nicht geplant, es zu streichen“, sagt Sprecherin Jeanette Tandel. Zuerst hätten in der Kommune die Deiche von Raguhn und Jeßnitz Priorität gehabt - nun folgen die weiteren Projekte. Für Bauvorhaben in Retzau, Altjeßnitz sowie Jeßnitz-West stünde Geld zur Verfügung. Dass auf das Schreiben der Retzauer nicht geantwortet wurde, erklärt Tandel so: „Es erreichte uns während der haushaltspolitischen Verhandlungen. Dabei sind auch Fragen der Finanzierung von Hochwasserschutzprojekten in der Diskussion gewesen.“ Mit der Flut habe man dann die Beantwortung zurückstellen müssen.