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Totenstille im Arbeitertempel Kulturpalast in Bittefeld: DDR-Baudenkmal droht der Abriss

Von Günter Kowa 14.02.2018, 11:00
Die Zukunft des traditionsreichen Hauses steht weiter in den Sternen.
Die Zukunft des traditionsreichen Hauses steht weiter in den Sternen. Thomas Ruttke

Bitterfeld - Die Puhdys waren die letzten auf der Bühne, dann gingen die Lichter aus. „Ein jegliches hat seine Zeit“ gilt offenbar auch für den Bitterfelder Kulturpalast. Seit 2015 steht dieser vielleicht berühmteste Arbeiter- und Bauerntempel der DDR nicht nur leer, sondern auch zunehmend einsam in der Landschaft.

1952 gegen den Willen der Stadt nicht im Zentrum, sondern auf dem Gelände des damaligen Elektrochemischen Kombinats gebaut, wurden die Werkshallen und Anlagen nach der Wende ringsum großflächig abgerissen. Und nun musste auch der einzige Nachbar, die Kreis-Berufsschule, die Tore schließen.

Aus dem kompromisslos modernen Glas- und Stahlbau muss das Dämmmaterial wegen vermuteter Gesundheitsschädlichkeit herausgeholt werden. Nun stehen sich zwei zeitgeschichtlich vielsagende Bauwerke gegenüber und sind verstummt.

Verkauf an den Chemieparkbetreiber Jürgen Preiss-Daimler

Dabei war es ganz anders gedacht, als die Expo 2000 im Kulturpalast den Auftakt machte und die Rede davon war, dass die Schule künftig den Palast als Aula, Bühne und Lehrbetrieb nutzen sollte.

Daraus wurde nichts. Ob aus technischen Schwierigkeiten oder Interesselosigkeit, ist umstritten, jedenfalls fanden Stadt und Landkreis keinen Konsens. Mit dem Verkauf an den Chemieparkbetreiber Jürgen Preiss-Daimler 2004 schien es zunächst, als könne das Haus noch einmal kulturell aufleben.

Chemiepark-Gesellschaft will das DDR-Gebäude abreißen lassen

Aber das hing am privaten Interesse des Managers. Bei seinen Nachfolgern sieht das anders aus. Die Chemiepark-Gesellschaft hat Abrissantrag gestellt.

Anfang Februar versammelt sich eine kleine Schar vor den Stufen zum Säulenportal. Der Ortstermin ist ein Zeichen, dass noch nicht alles verloren ist. Wenige Tage zuvor war in der Bitterfelder Zeitung zu lesen, der Vorstand der Bitterfelder Wohnstättengenossenschaft, Matthias Schindler, habe vorgeschlagen, das Haus auswärtigen Bühnenkünstlern als Arbeitsstätte anzubieten.

Angesichts steigender Saalmieten von Berlin bis Leipzig gebe es dafür eine Nachfrage. Dass das Haus dann aber auch nicht mehr öffentliche Kulturstätte sei, spreche nicht dagegen: Die Doppelstadt hat in Wolfen ein Kulturhaus, und dem wolle man keine Konkurrenz machen.

So soll der Kulturpalast in Bitterfeld gerettet werden

Den Ortstermin angestoßen haben aber andere Leute. Stephan Schirrmeister, Hallenser und Spezialist für kulturelle Umnutzung von Denkmalen, will das Management mit Bühnenkünstlern zusammenbringen, die das Potenzial des Baus trotz oder wegen seiner aus der Zeit gefallenen Ausstrahlung, seiner immensen Größe und originalen Technik neu beleben könnten.

Aus Berlin ist der in der Region nicht unbekannte Tänzer und Choreograph Gregor Seyffert angereist, der 2006 im Kraftwerk Vockerode mit seiner Compagnie ein „Cross-Genre-Aktionstheater“ vor 5.000 Zuschauern inszeniert hat.

Mit Nadine Freisleben und Gyöngyi Salla sind aus Berlin zwei Bühnenkünstlerinnen gekommen, für die Experimentieren ein Lebenselixier ist. Seyffert sagt, er könne sich auch vorstellen, mit dem Schindler-Konzept zu kooperieren.

Bekannt ist neben dem Bitterfelder Kulturhaus auch das Kulturhaus in Leuna. Es wurde von der BASF 1927/1928 als Gesellschaftshaus der Ammoniakwerke Merseburg erbaut. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Gebäude schwer beschädigt.

1946 eröffnete es als „Klubhaus der Werktätigen“ wieder und bot der Belegschaft des VEB Leuna-Werke vielfältige Möglichkeiten für kulturelle Aktivitäten, Brigadeabende sowie für öffentliche Großveranstaltungen. Nach der Wiedervereinigung erfolgte 1994/95 eine Sanierung. Seit 1998 gehört das Haus zur cCe Kulturhaus Leuna GmbH, einer Tochterfirma der Standortgesellschaft Infraleuna.

Deutlich schlechter bestellt ist es um das frühere Buna-Klubhaus „X50“ in Schkopau. Das 1952 gebaute Gebäude diente früher vor allem den Beschäftigten des Chemiestandortes, wurde aber auch vom DDR-Fernsehen und Theater-Ensembles genutzt.

Nach der Wende ging es mit dem einstigen Vorzeigeobjekt, das seit Jahren leer steht und verfällt, steil bergab. Der Abwasserzweckverband Merseburg hat inzwischen die Zwangsversteigerung beantragt. Grund sind Forderungen im hohen fünfstelligen Bereich, die vom derzeitigen Eigentümer nicht erfüllt werden.

Mehr als 2 000 Kulturhäuser gab es am Ende der DDR. Das größte und berühmteste war der Palast der Republik in Ostberlin. Das 1976 fertiggestellte Gebäude wurde nicht nur für Kulturveranstaltungen genutzt, sondern war auch Sitz der DDR-Volkskammer. Neben bekannten DDR-Stars spielte dort auch Udo Lindenberg.

Er gab am 25. Oktober 1983 ein Konzert vor ausgewähltem Publikum. Ab 1990 war das Gebäude wegen der Emission krebserregender Asbestfasern geschlossen. Von 1998 bis 2003 wurden die Asbesteinbauten entfernt. Nach einem Beschluss des Bundestags wurde das Bauwerk bis 2008 abgerissen. 2013 begann an seiner Stelle der Wiederaufbau des Berliner Schlosses.

Ihren Ursprung haben die DDR-Kulturhäuser in der „Volkshaus“-Idee des frühen 20. Jahrhunderts aus dem Umfeld der Arbeiterbewegung, der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie. Die „Stätte der sozialistischen Kultur“ stand gegen den kapitalistischen Kulturbetrieb.

Bis in die 1920er-Jahre hinein befassten sich namhafte Architekten mit teils gigantischen Entwürfen. Realisiert wurde nur weniges, der „Volkspark“ in Halle zum Beispiel oder das „Festspielhaus“ in Dresden-Hellerau. In der DDR sollten die Kulturhäuser Teil der sozialistischen Gesellschaft sein und der „Formung der allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeit“ dienen. (mz)

In der Gruppe finden sich aber auch bodenständige Akteure. Denn der Abrissantrag hat in Bitterfeld eine Welle der Empörung ausgelöst. Es gibt eine Unterschriftenaktion, die der örtliche „Arbeitslosenselbsthilfeverein“ zu großer Resonanz initiiert hat.

Viele Veranstaltungen zu DDR-Zeiten im Kulturpalast

Es melden sich viele, die im Palast noch zu DDR-Zeiten Veranstaltungen erlebt oder in den Kunst- und Literaturzirkeln dabei waren, wenn nicht sogar beim Aufbau mithalfen. Immerhin entsprach der freiwillige Arbeitseinsatz damals einem Drittel der Gesamtkosten.

Mit Reinhard Waag wirkt bei der Initiative einer mit, der vor und nach der Wende im Veranstaltungsmanagement des Palasts tätig war. Bevor das Schindler-Konzept öffentlich wurde, hat er mit Akteuren aus der Politik die Idee einer Stiftung verfolgt.

Der Niedergang des Bauwerks nimmt ihn spürbar mit. Beim Rundgang kommt es zu angespannten Disputen zwischen ihm und den Geschäftsführern Michael Polk und Patrice Heine. Man sieht, dass die gesamte Beleuchtungstechnik abgebaut am Boden der Drehbühne liegt: Völlig unnötig, sagt Waag; der Abbau vermeidet die alljährlichen Tüv-Überprüfungen, sagen die Manager.

Unterhaltung des DDR-Gebäudes ist teuer

Aber der Bühnenbetrieb ist stillgelegt - der Tüv also nicht gefragt. Laut Waag ist einiges an Technik abhandengekommen, was die Manager bestreiten.

Diese lassen keinen Zweifel daran, dass sie den Palast aus ihren Büchern raus haben wollen. „Er ist wirtschaftlich nicht betreibbar.“ Die Heizkosten hätten zuletzt 100.000 Euro pro Jahr betragen. Jetzt breite sich Feuchtigkeit aus.

Unbestritten ist, dass das Abpumpen von Grundwasser, das in der Bergbau-Nachfolgeregion unerlässlich ist, 300.000 Euro pro Jahr kostet, was allerdings nicht der Chemiepark bezahlt. Und der Abrissantrag? „Ja, den haben wir eingereicht. Wir sind aber offen für jede andere Vorstellung“, sagt Polk.

Gespräche zwischen Bitterfeld-Wolfen und Chemiepark

Mittlerweile liegt das Schindler-Konzept den Fraktionen im Stadtrat vor. Der Oberbürgermeister von Bitterfeld-Wolfen, Armin Schenk, bestätigt, dass es Gespräche zwischen Stadt und Chemieparkgesellschaft gibt.

Die Rede ist von einer Eigentümergesellschaft, die das Gebäude übernimmt, an der Stadt und Chemiepark beteiligt sind. Auch Schindler spricht davon, dass es ohne finanzielle Beteiligung der Gesellschaft nicht geht. „Es muss wirtschaftlich tragfähig sein“, sekundiert Schenk. Er könne nicht den Kulturpalast zulasten von Kindergärten, Schulen und Infrastruktur betreiben, so der Oberbürgermeister

Kulturpalast gehört zur Geschichte von Bitterfeld

Doch was ist Bitterfeld über diese Infrastruktur hinaus? Der Name der Stadt ist mit dem Kulturpalast verbunden, der wiederum für die Industriegeschichte der Region steht, sowohl aus DDR-Zeiten als auch die Vorkriegs-Ursprünge. Aber wer in Bitterfeld auf dem „Bitterfelder Weg“ gehen und nach Zeugnissen von den Kulturkonferenzen von 1959 und 1964 suchen will, findet nichts.

„Greif zur Feder, Kumpel“ ist lange vorbei und Ulbrichts Ruf „Arbeiter, stürmt die Höhen der Kultur!“ ist verhallt - und ist doch ein Teil der politischen, der Literatur- Kunst- und Alltagsgeschichte der DDR.

Im Mai will die Galerie am Ratswall „125 Jahre Chemieregion“ würdigen und in einer Ausstellung auch Kunst aus dem Kulturpalast zeigen. Doch in der Regel ist davon nichts sichtbar in Bitterfeld. 1998 hat die Treuhand den Kunstbestand aus dem Kulturpalast ans Land verkauft. Bitterfeld selbst fand keine Lager-, geschweige denn Ausstellungsstätten.

So hütet seit 2004 das Landesverwaltungsamt Halle 265 Einheiten von Malerei und Grafik in einem Depot. Ans Landesarchiv in Magdeburg sind die Dokumente zur Literaturgeschichte aus dem Mitteldeutschen Verlag gegangen, dessen DDR-Vorgänger einst den Anstoß zu der Kulturkonferenz gab.

Ulbrichts persönlicher Referent und MDV-Autor Otto Gotsche hatte die jährliche Bitterfelder Autorenkonferenz des Verlags umfunktioniert, um die Parole „Chemie bringt Brot, Wohlstand und Schönheit“ neu zu instrumentalisieren. Wenn der Kulturpalast verschwindet, kann niemand mehr sehen, was die DDR unter Brot, Wohlstand und Schönheit verstand. (mz)

Unter der Losung „Greif zur Feder Kumpel, die sozialistische Nationalkultur braucht dich“ wurde am 24.4.1959 im Kulturpalast Bitterfeld eine Autorenkonferenz eröffnet. An ihr nahmen fast 300 „schreibende Arbeiter“ und 150 Schriftsteller teil.
Unter der Losung „Greif zur Feder Kumpel, die sozialistische Nationalkultur braucht dich“ wurde am 24.4.1959 im Kulturpalast Bitterfeld eine Autorenkonferenz eröffnet. An ihr nahmen fast 300 „schreibende Arbeiter“ und 150 Schriftsteller teil.
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