Kräuterküche zwischen Solarindustrie
THALHEIM/MZ. - Mehr als hundert Jahre geschah das in einer Fabrik in Raguhn, 2006 ist das Familienunternehmen nach Thalheim umgezogen. "Raguhn war ein Inseldasein", sagt Geschäftsführerin Regina Loth. In der Stadt der Solarindustrie sei die Firma dagegen nun ins Blickfeld gerückt. Das hatte auch im Inneren seine Wirkung: "Wir haben das Schüchterne abgelegt", stellt die Geschäftsführerin fest und nennt als Beispiel die Werbung, auf die man früher weitgehend verzichtet habe.
Jetzt präsentiere sich die Esra mit einem anderen Selbstbewusstsein. Das hat viel mit dem neuen Werk zu tun. Auch wenn die elf Mitarbeiter in den ersten Monaten der vertrauten Umgebung noch ein bisschen nachgetrauert haben, "jetzt will keiner mehr nach Raguhn", weiß Regina Loth.
Niemand vermisse mehr die museumsreife Technik, die vielen Provisorien, die Kanten und Treppen, die nicht mal den Einsatz eines Gabelstaplers zuließen. Im Neubau sind Rohre verlegt, so dass für die zwei Hauptprodukte Flüssigzucker und Sprit nur noch der Hahn aufgedreht werden muss.
Mit einem Dampferzeuger mit Destillierkolonne kann in dem Werk nun auch selbst destilliert werden. Und es gibt einen temperierten Drogenraum, so dass bei günstigen Weltmarktpreisen größere Mengen eingekauft und gelagert werden können. Daran war in der alten Fabrik nicht zu denken, in dem Lagerraum auf dem Hausboden erreichten die Temperaturen im Sommer nicht selten 30 Grad und im Winter minus 10 Grad.
Auch Zahlen bestätigen die Entscheidung der Familie Erben, nicht mehr in die alten Anlagen, sondern in einen Neubau zu investieren. In den vergangenen zwei Jahren konnten die Heizkosten deutlich gesenkt und der Umsatz um 35 Prozent gesteigert werden. Letzteres nicht waggonweise, sondern in vielen kleinen Portionen. "Wir stellen Nischenprodukte her und sind nicht an Mindestmengen gebunden", berichtet Regina Loth. So liefere die Esra ein Kilogramm ebenso wie ein oder zwei Tonnen der Grundstoffe, die Kunden wie die Brauerei Zahna oder die Mineralquelle Blankenburg für grüne und rote Dino-Brause oder Asco-Cola benötigen.
Mit den Bestellungen für Glühwein-Essenz hat bei der Esra bereits die Weihnachtsmarkt-Saison 2008 begonnen. Weil sich aber nicht jeder Wunsch mit Routine und einem Griff in den Fundus erfüllen lässt, ist bei den Frauen im Labor Kreativität gefragt. Sie müssen beispielsweise nicht nur wissen, wie Waldmeister schmeckt, sondern auch erahnen können, wie sich der Kunde Spargellikör oder die Taigawurzel-Essenz vorstellt. Neuentwicklungen werden nicht nur von der Chefin, sondern auch oft von den Mitarbeitern und Auszubildenden getestet.
Raucher haben deshalb bei der Esra keine Chance. Zum einen, weil die Geschmacksknospen funktionieren müssen, zum anderen wegen der Explosionsgefahr. Über Vorstellungen, bei der Esra gehe es zu wie in einer Hexenküche, muss Regina Loth schmunzeln. "Wir haben seit März ein Qualitätszertifikat", sagt sie. Dazu gehören geeichte Waagen ebenso wie die Verfolgbarkeit der Produktionskette vom Einkauf bis zur Auslieferung. Diese Nachweise seien zwar mit beträchtlichem Aufwand verbunden, doch unumgänglich, "sonst gehen die Kunden woanders hin", weiß die Geschäftsführerin. Sicherheit gibt dabei auch, dass ausschließlich in Deutschland bei seit Jahren bekannten Lieferanten eingekauft wird.
Die ersten beiden Thalheimer Jahre waren für die Esra gute Jahre, der erste Kredit für den Neubau konnte bereits abgezahlt werden. Doch auch in dieser Zeit hat die Belegschaft nicht vergessen, dass sie schwierige Phasen mit Lohnverzicht und Tätigkeiten, die nicht in der Stellenbeschreibung stehen, durchstehen musste. "Wer hier arbeitet weiß, worum es geht", sagt Regina Loth. Die Raguhnerin, die als Laborantin in der Filmfabrik gearbeitet und dann Betriebswirtschaft studiert hat, begann vor 25 Jahren in der Lohnbuchhaltung von Esra und ist seit 1999 Geschäftsführerin. Andere Mitarbeiter wie die Buchhalterin Christine Schmidt oder Peter Hermann vom Außendienst sind ihren Vätern gefolgt, die als Hauptbuchhalter bzw. Produktionsleiter bei der Esra tätig waren.
So ist die Firma in doppeltem Sinne ein Familienbetrieb, zu dem es passt, dass das 115-jährige Bestehen im Dezember mit einem Betriebsausflug nach Dresden-Pillnitz gefeiert wird.