Kleingartenverein "Vergissmeinnicht" in Bitterfeld Kleingartenverein "Vergissmeinnicht" in Bitterfeld: Kinder- und Gartenfest lockt auch die ganze Region

Bitterfeld - In 90 Lebensjahren hat Paul Winter viel gesehen. Trotzdem kommt der Kleingärtner aus dem Staunen nicht heraus - über seine mehr als 30 Jahre alten Rosen. „Die wachsen und blühen in diesem Jahr so prächtig wie lange nicht mehr.“ Stolz schwingt da mit. Und so freut sich Winter, wenn Besucher der Bitterfelder Anlage „Vergissmeinnicht“ vor der niedrigen Hecke seines Gartens bewundernd stehenbleiben - so wie am Samstag während des Kinder- und Gartenfestes des Kleingartenvereins.
Das gab es schon zu DDR-Zeiten und findet seit 1991 jedes Jahr statt. Es ist eines der wenigen gemeinsamen Unternehmungen der Pächter, die bis heute geblieben sind. Seit 1977 wird die Anlage am Pappelweg bewirtschaftet, nachdem der vorherige Standort auf dem Gelände des heutigen Stadthafens überbaggert wurde. Der Verein selber ist bereits 91 Jahre alt. Seit dem Neuanfang 1977 ist auch Dietmar Mengel dabei. Zwei Jahre später wurde er in den Vorstand gewählt, seit Jahren ist der 76-Jährige Vereinschef - und möchte den Staffelstab nun weitergeben. Doch bislang drängt kein Nachfolger ins Rampenlicht. Dabei kann von Nachwuchssorgen bei dem Kleingartenverein eigentlich keine Rede sein.
"Wir haben derzeit nur einen freien Garten"
Das Interesse an den Parzellen ist da. „Wir haben derzeit nur einen freien Garten“, sagt Mengel. Die Neuverpachtungen gehen vorrangig an Jüngere - wobei damit die Unter-50-Jährigen gemeint sind. Das Durchschnittsalter der Vergissmeinnicht-Kleingärtner liegt bei 58 Jahren. Kein Wunder, ist doch mehr als die Hälfte bereits 20 Jahre und länger dabei. „Die Jüngsten sind Anfang 30, junge Familien mit Kindern“, so Mengel. Der Älteste ist mit 90 Jahren Paul Winter.
Er kam aus Döbern, das der Kohle weichen musste, und kann sich ein Leben ohne Garten nur schwer vorstellen. Fast täglich kommt der frühere Bäcker nach dem Mittag mit dem Rad her, pflanzt, gießt, zupft Unkraut, schaut nach den Rotkehlchen, die im Vorraum der Laube nisten, und schützt seine reifenden Kirschen vor den diebischen Elstern. „Und bei schwereren Dingen hilft mir mein Sohn.“ Doch trotz langer Erfahrung gelingt nicht alles. „Ich habe in diesem Jahr einen Rekord mit Gurken erzielt“, erzählt Winter. „Im Frühzelt ist nicht eine einzige gekommen.“ Dafür gedeihen Kartoffeln oder Kohlrabi gut. „Aber am besten wächst das Unkraut.“ Doch davon ist in Winters Garten ebenso wenig zu sehen, wie in den meisten anderen der Anlage.
Während Winter im Schatten seiner Rosen steht, dringen von der nahen Festbühne Schlagerklänge herüber. Anne Farl, die in diesem Jahr erstmals selbst ein paar Gemüsepflanzen hinter ihrem Haus gesetzt hat, unterhält die Besucher mit Titeln von Andrea Berg bis Helene Fischer. Dazu schmecken die Leckereien vom Kuchenbüfett besonders gut. Andere stärken sich lieber mit herzhaft Gebratenem vom Grill, testen ihr Können am Schießstand, an der Dartscheibe oder beim Preiskegeln. Auffällig sind die vielen jungen Leute beim Gartenfest. Während sich manche Pächter nachmittags erstmal lieber im eigenen Garten aufhalten, kommen viele Bewohner der Umgebung in die Anlage. Ihre Kinder stürmen die Hüpfburg auf dem Spielplatz. „Den können die Kinder des Wohngebiets seit 2012 mit benutzen“, nennt Mengel ein Beispiel für die angestrebte gute Nachbarschaft. Und so ziehen auch beim Lampionumzug am Abend viele Bewohner des Viertels hinter der Schalmeienkapelle Plodda über die Gartenwege.
Dass der Name „Vergissmeinnicht“ von den Gärtnern wörtlich genommen wird, beweisen übrigens Annette und Christian Frensch. Das Ehepaar hatte seit 1977 hier seinen Garten. „Vor fünf Jahren sind wir aber nach Bernburg gezogen, wo unsere Tochter wohnt“, erzählt der 84-Jährige. Die musste aber damals versprechen, ihre Eltern zu den Gartenfesten wieder nach Bitterfeld zu fahren. „Bisher haben wir noch keines versäumt.“ Und so erinnern sich Frenschs mit befreundeten Pächtern an frühere Zeiten, als hier sogar Fasching und Erntedank zusammen gefeiert wurde. n
Ein imposantes Feuerwerk krönt kurz vor 23 Uhr einen turbulenten Tag. Heute kehrt in der Sparte wieder der Alltag ein. Das heißt auch: Paul Winter schaut am Nachmittag wieder nach seinen Rosen. (mz)
