Jubiläum der Stadtapotheke Jubiläum der Stadtapotheke: 300 Jahre Bitterfelder Pharmazie

bitterfeld - Die Nase tropft, der Hals ist rau, die Stimme klingt wie ein Reibeisen und das Fieber streckt auch den stärksten Mann nieder. Die Erkältungswelle rollt. Das spüren Ute Brandt und Ulrike Höbold, die beiden Inhaberinnen der Bitterfelder Stadt-Apotheke, und ihr Team in diesen Tagen besonders. Die Geheimwaffen gegen die fiesen Bakterien und Viren stehen in ihren Regalen.
Anzunehmen ist, dass das auch vor 300 Jahren nicht viel anders gewesen ist, als Gottlieb Heinrich Sonnenfelder aus dem Brandenburgischen die Stadt-Apotheke in der Halleschen Gasse, der heutigen Burgstraße, gründet. Es ist die Osterzeit im Jahr 1715. Überliefert allerdings ist der Krankenstand von damals nicht. Überliefert aber ist, dass Sonnenfelder die inzwischen mit dem königlichen Privileg ausgestattete Apotheke nach 35 Jahren seinem Sohn übergibt. Da ist er selbst auf dem Weg, einmal ein „wohlemeritierter Bürgermeister und Stadtrichter“ zu sein.
Seit 200 Jahren befindet sich die Bitterfelder Stadt-Apotheke in dem wunderschönen, historischen Häuserensemble am Markt. Das ist übrigens das zweitälteste Haus der Stadt.
1901 übernimmt der Sachse Walter Roederer die Apotheke und damit beginnt quasi die moderne Geschichte der Einrichtung. Denn jetzt kommt die Familie Höbold ins Spiel - Roederer ist der Urgroßvater von Ulrike Höbold. Und bis 1963 wird die Apotheke von der Familie geführt. Dann tritt vier Jahre später Pharmazeut Eike Wetzel an ihre Stelle - bis zur Wende. „Am 1. März 1991 kommt die Apotheke wieder in Privatbesitz“, berichtet Ute Brandt, „als offene Handelsgesellschaft, die fortan von meinem Vater Eike Wetzel und Ulrikes Mutter Eva Höbold geführt wird.“
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Die Welt ist wieder in Ordnung, doch der Anfang hat es in sich. Hatten die Fachleute bis zur Wende noch alle Tropfen, Pillen, Pflaster, Tabletten, Tinkturen, Salben etc. und ihre Anwendungen im Kopf, ist das plötzlich gar nicht mehr möglich. So viel ist von Medikamenten und von Vorschriften auf dem Markt, der Ausfahr-Service kommt dazu, das wahnsinnig schnelle Bestell- und Liefersystem - das beherrscht nur noch der Computer. „Ja, ohne wäre man aufgeschmissen“, meint Ute Brandt lächelnd. „Wenn das System ausfällt, kann man nur noch zuschließen.“ Genau so ist es, als vor noch nicht allzu langer Zeit der Blitz den Hauptrechner lahmlegt. Dabei ist Ute Brandt ein Computer kein Gerät mit sieben Siegeln. Die kleine, zierliche Frau, Mutter zweier Kinder, ist studierte Elektrotechnikerin. Und während sie nach dem Abschluss noch ein Studium der Pharmazie in Heidelberg anschließt, ist ihr Mann bis heute dem Computerfach treu geblieben. „Nein, nein“, wehrt sie ab, „ich musste nicht überredet werden, Apothekerin zu werden. Es ergab sich so und das ist gut so. In der DDR übrigens hätte ich das nicht gemacht, unter staatlicher Führung - das war für mich nicht so verlockend.“ Als Kind, erzählt sie, war sie oft bei den Eltern in der Apotheke, durfte hier und da mal im Salbentopf rühren. „Ich fand das immer schön“, sagt sie. So fängt sie 2003 als Mitarbeiterin im Haus an und wird drei Jahre später Chefin neben Ulrike Höbold. Die ist gleich in die familiären Fußstapfen getreten. Und hat in Halle Pharmazie studiert. „Die Apotheke ist wieder in der Familientradition. Das ist schön so“, sagt Ute Brandt.
Wie ist das, leben die Leute heute eigentlich gesünder? Oder verlassen sie sich darauf, dass es jetzt ja viel mehr Gesundmacher gibt? Die Chefin hebt die Schultern. Sie selbst denke eher weniger an eigene Krankheiten, gibt sie unumwunden und fröhlich zu. Sie schüttelt bedächtig den Kopf. Man weiß es nicht. Sicher, es gibt viel mehr Apotheken als früher und damit verteilen sich die Patienten. Doch ist da ein Stamm-Klientel.
Diese Treue freut das Team und es sieht die auch irgendwie als eine Belohnung. Dafür, dass elf Mitarbeiter kompetent und freundlich jeden Tag den Leuten zur Seite stehen. Der Konkurrenzkampf unter den Apotheken im Umkreis, sagt Ute Brandt, „der ist fair“. „Aber uns reicht die eine Apotheke und die machen wir richtig. Sowas gehört mit zum Intimen und Persönlichen und da ist es schön, wenn man noch selbst da ist und die Leute kennt.“
Das Lieferauto mit den bestellten Medikamenten kommt heute übrigens vier oder fünf Mal am Tag - früher einmal aller zwei Wochen. Handgefertigt wird kaum noch etwas in der Apotheke - Salben hin und wieder und ein paar Zäpfchen vielleicht „wenn die Wirkstoffmenge angepasst werden muss“. Ansonsten haben die wunderschönen, grazilen, haargenauen, sauberen und glänzenden Apotheker-Instrumente zum wiegen, mischen, messen, pressen, drehen ausgedient. Im Gewölbekeller sind sie aufbewahrt und verstaut - als Zeugen einer Zeit, die die Moderne tausendfach überholt hat. (mz)

