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Hochwasser in Bitterfeld Hochwasser in Bitterfeld: "Ich bleibe bis zum Schluss"

Von silke ungefroren 07.06.2013, 17:28
Auch fünf Pumpen schaffen es bei Michael Hacker in der Bitterfelder Altschlossstraße nicht mehr, das Wasser aus dem Keller zu kriegen.
Auch fünf Pumpen schaffen es bei Michael Hacker in der Bitterfelder Altschlossstraße nicht mehr, das Wasser aus dem Keller zu kriegen. André Kehrer Lizenz

bitterfeld/MZ - Die Ruhe trügt. Es herrscht noch Leben in Bitterfeld, obwohl der Teil östlich der Bahnlinie am Dienstag evakuiert wurde. Und im Bereich Niemegker-, Altschloss-, Parkstraße und An der Sorge ist es auf einigen Grundstücken alles andere als ruhig. Hier laufen die Pumpen, um das Wasser aus den Kellern entweder zu kriegen oder noch zu verhindern, dass es überhaupt hineinläuft.

Angst vor Plünderern

Michael Hacker hat seit der Flut 2002 ein Schlauchsystem und zwei Pumpen fest installiert. Schon damals war er betroffen, lief sein Keller voll. Das hat ihn geprägt. „Aber jetzt schaffen es nicht mal fünf Pumpen, das Wasser rauszukriegen“, sagt er. Sein Haus will er so schnell nicht verlassen, obwohl die Goitzsche steigt und steigt und überzulaufen droht. Ob das gut ist? „Es ist mein Eigentum“, sagt er. „Und ich habe damals erlebt, dass Häuser in der Nachbarschaft schon in der Nacht der Evakuierung geplündert wurden.“ Er kann in die oberen Etagen flüchten, wie er sagt. Deshalb „bleibe ich bis zum Schluss“.

Die Familie gegenüber hatte bisher noch Glück. Hier hat es das Wasser noch nicht bis in den Keller geschafft. Rund um die Uhr wird gepumpt, wie Elfriede Brauer erzählt. „Wir wollen nicht weg.“

Das wollte auch Wolf Thienicke nicht, doch am Donnerstag fährt er fort. Er hat die Nase voll. Seine Familie ist ebenfalls zum zweiten Mal vom Hochwasser betroffen. Erst durch Grundwasser, jetzt auch im Garten durch den Strengbach. Bis in der ersten Etage war das Wasser schon - vom Keller ganz zu schweigen. Dort sind Sauna und Sportraum abgesoffen. „Nicht drüber nachdenken“, winkt Thienicke ab und schimpft. Über das Nichtinformiertsein, über die Politiker und Verantwortlichen. Wenn jene richtig und weitsichtig gehandelt hätten, meint er, dann hätte das nicht wieder passieren dürfen. „Und damals waren wir jünger“, denkt der 62-Jährige an die Arbeit, die erneut auf ihn und seine Familie zukommen wird. „Doch jetzt sind wir Rentner, da wird es nicht leichter.“

Nicht weit entfernt davon liegt das Goitzsche-Camp - idyllisch bei diesem Wetter, das von allen herbeigesehnt wurde. Doch bis auf die arbeitenden Bundeswehrsoldaten, die dahinter den Sandsackdamm am See errichten, ist kaum ein Mensch zu sehen. In einem der Wohnwagen jedoch lässt sich ein 78-Jähriger nicht davon abhalten, sein Campingplatz-Leben weiter zu genießen. Er kommt aus Halle, ist seit Bestehen des Camps immer von Frühjahr bis Oktober hier. Seinen Namen möchte er in der Zeitung nicht lesen. „Montag bin ich auch nach Hause gefahren, doch Dienstag war ich wieder hier“, sagt er. „Man kann ja keinen zwingen zu gehen. Und das ist bestimmt nicht das erste Hochwasser im Leben, das ich mitmache.“

Er verweist an die Betreiberin des Camps, Beate Köppe. „Die Familie kocht jetzt für die Helfer.“ Doch die Frau hat nicht nur tatkräftige Unterstützung von Mann Olaf und Sohn Florian. Auch die Freunde Stefan Ehbauer und Sara Güldner sind zum Helfen gekommen. Gerade sind die 50 Essen für das Technische Hilfswerk (THW) am Wehr in Friedersdorf und am Pegelturm raus. Gefüllte Paprikaschote und Kartoffelbrei stehen auf dem Speiseplan, einen Tag zuvor gab es Bratkartoffeln und Bulette.

„Eben Hausmannskost, damit die Leute gestärkt weiter machen und für uns kämpfen können“, sagt Beate Köppe. „So wie viele andere auch.“ Besonders freut sie, dass so viele jugendliche Mitstreiter kräftig anpacken.

Helfen aus Menschlichkeit

In der Niemegker Straße steht Peggy Lübeck aus Mühlbeck und telefoniert. Sie ist auf dem Weg zum Stadion und den Sandsäcken. Dort hat sie schon am Dienstag geholfen. Mittwoch war sie in Greppin, jetzt geht es erneut Richtung Goitzsche. „Der Bäcker, wo ich arbeite, hat ohnehin geschlossen“, erklärt sie ihren Einsatz, der für sie dazu gehört - aus Menschlichkeit. Und: „Man kann nicht meckern und dann nichts tun. Es gibt aber andere, die das gar nicht interessiert.“

Bei „Onkel Apo“ in der Walther-Rathenau-Straße hat nicht nur der Imbiss geöffnet, sondern auch der Lebensmittelladen daneben. „Damit die Leute was einkaufen und essen können“, erklärt Serhan Yalcinkaya. „Natürlich haben wir Angst vor dem Wasser. Wenn es kommt, müssen wir schnell raus.“

Auch im Obst- und Gemüsegeschäft von Familie Le in der Burgstraße werden die Kunden bis Donnerstagnachmittag noch versorgt. Dann haben sich Phung Thi Yen und ihr Mann in Richtung Goitzsche aufgemacht - bepackt mit Suppe sowie Obst- und Gemüseportionen für die Einsatzkräfte dort. „Ich packe jetzt hier noch alles zusammen“, sagt Sohn Hung. „Und dann fahre ich auch zum Helfen.“

Wieder ein gewohntes Bild in diesen Tagen: Sandsäcke über Sandsäcke
Wieder ein gewohntes Bild in diesen Tagen: Sandsäcke über Sandsäcke
André Kehrer Lizenz
In der Bitterfelder Innenstadt sind noch Geschäfte geöffnet. Phung Thi Yen und Familie aus der Burgstraße versorgen zudem die Leute an der Goitzsche.
In der Bitterfelder Innenstadt sind noch Geschäfte geöffnet. Phung Thi Yen und Familie aus der Burgstraße versorgen zudem die Leute an der Goitzsche.
André Kehrer Lizenz