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Hochwasser in Bitterfeld Hochwasser in Bitterfeld: Die Hoffnung bleibt an der Goitzsche

Von silke ungefroren und anne schneemelcher 08.06.2013, 07:48
Am Freitagmorgen wurde der Autoverkehr in den gefährdeten Teilen von Bitterfeld und Friedersdorf gesperrt - die Polizei lässt nur bedingt Fahrzeuge durch.
Am Freitagmorgen wurde der Autoverkehr in den gefährdeten Teilen von Bitterfeld und Friedersdorf gesperrt - die Polizei lässt nur bedingt Fahrzeuge durch. André Kehrer Lizenz

bitterfeld/friedersdorf/mühlbeck/MZ - Panik am Freitagmorgen in Bitterfeld und Friedersdorf. Grund ist eine erneute Meldung zur Evakuierung der vom Hochwasser bedrohten Gebiete. Sie ist kurz nach sieben Uhr im Internet bei Facebook gelaufen und verbreitet sich in Windeseile. Zwar wird immer noch von einer stabilen Lage an der Goitzsche gesprochen, doch der Rest der Meldung lässt anderes erahnen. Jetzt werden nicht nur die Bitterfelder im Gebiet östlich der Bahnlinie erneut aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen. Auch in den Bereich westlich der Muldensteiner Straße in Friedersdorf geht dieser Aufruf abermals. Zudem werden die genannten Teile einschließlich der B 100 zwischen beiden Orten ab sofort für den Autoverkehr gesperrt.

Grund sind die Sicherungsmaßnahmen am Seelhausener See, um das Überschwappen in die Goitzsche und damit eine meterhohe Flutwelle in Richtung Bitterfeld zu verhindern (siehe Seite 7).

Wer jetzt mit dem Auto in Richtung der gesperrten Gebiete unterwegs ist, hat das Nachsehen. Plötzlich geht nichts mehr auf den Straßen. Staus bilden sich, die meisten Fahrzeuge wenden, nur bedingt werden welche durchgelassen - mit entsprechender Begründung ist die Einfahrt noch möglich. Die Situation zieht sich so bis zum Abend hin - das Chaos relativiert sich. Leer gefegt erscheinen die evakuierten Ortsteile dennoch nicht. Parkende und zum Teil rollende Autos bestimmen das Bild, auch Fußgänger und Radler sind unterwegs.

Während der Hubschrauber über dem Seelhausener See mit der Sicherung des bedrohten Damms beginnt, liegt der Goitzschesee idyllisch in der Sonne. Doch die Ruhe trügt. Schon am Donnerstagabend hatte das Wasser begonnen, über das Hafenbecken zu schwappen. Wo sonst die Fußgänger an der Promenade entlang flanieren, tummeln sich jetzt Schwäne.

Die Situation ist und bleibt ernst. Daraus wird in den Medien, Live-Tickern und sozialen Netzwerken auch kein Hehl gemacht. Auch an anderen Stellen des Goitzschesees ist das unübersehbar. Besorgt schaut Heiko Miethbauer auf das ansteigende Wasser, das durch die Pegelturmbrücke fließt. „Ich bin erstaunt, wie voll die Goitzsche ist“, sagt der Bitterfelder traurig. Sein Haus in der Altstadt hat er bereits mit Sandsäcken geschützt. Aus Neugierde ist er zur Pegelturmbrücke gekommen, „weil ich die Situation kaum noch einschätzen kann.“

Bei den meisten Menschen, die an diesen Tagen hierherkommen, handelt es sich nicht um „Hochwassertouristen“ - nein, hier wollen sich Betroffene aus der Region ein Bild machen. Fast jeder, der hier anzutreffen ist, beklagt die Informationspolitik und „das Durcheinander, das verbreitet wird.“

So auch Bianca Öhlschläger aus Mühlbeck. Sie hat große Angst. „Denn“, so sagt sie, „wenn die Flut kommt, sind wir abgeschnitten wie auf einer Insel.“ Seit der Sperrung der B 100 ist es ohnehin schon schwer genug, in den Ort hinein und wieder heraus zu kommen.

Fast ein bisschen absurd wirkt es auf den ersten Blick, wenn Besucher der Gaststätte „Sea View“ im strahlenden Sonnenschein ein kühles Bier genießen. Verständlich ist es dennoch. Fragt man nämlich nach, handelt es sich auch hier um Einheimische. „Wir machen täglich eine Wanderrunde und laufen von der Halbinsel zum Muldestausee“, sagt Richard Schmied.

Deutlich über das Ufer tritt das Wasser auch an der Mühlbecker Strandpromenade. „Wir verfolgen den steigenden Pegel“, berichtet Stephanie Tennert. Trotz Evakuierungsaufforderung bleibt sie in ihrem Haus, das in der Nähe des Mühlbecker Strandes steht, „solange es geht“. Sie hat Angst vor Plünderung. „Meine Sachen sind gepackt, aber ich will bleiben.“ Freundin Claudia Heyde ebenfalls, obwohl sie die Lage „brenzliger als 2002“ einschätzt.

Betrübte Gesichter gibt es auch am Stadthafen. Unter ihnen ist der 17-jährige Sebastian Rohner. Weil er schulfrei hat, kommt er seit Montag jeden Tag her und beobachtet den Wasserstand. Er und seine Eltern sind optimistisch. Sie wohnen an den Bitterfelder Bahngleisen und sind den Evakuierungsaufforderungen nicht nachgekommen. „Es ist alles besser als 2002 organisiert. Wir glauben nicht, dass das Wasser soweit kommt. Im Notfall geht es zu Verwandten.“ Bis dahin versucht er zu helfen. Im Stadion hat Sebastian bereits Sandsäcke mitgetragen.

„Die Hubschrauber machen Hoffnung“, erzählt Dieter Schulze aus Wolfen. Er hilft, indem er Quartiere vermittelt und selbst Evakuierte aus Bitterfeld aufnimmt.

Die Gartenanlage „Kühler Grund“ in Bitterfeld ist bereits am Sonntag abgesoffen, auch andere Kleingartenvereine ereilte danach dieses Schicksal.
Die Gartenanlage „Kühler Grund“ in Bitterfeld ist bereits am Sonntag abgesoffen, auch andere Kleingartenvereine ereilte danach dieses Schicksal.
André Kehrer Lizenz
Eine Bundeswehrsoldatin steht neben einem Deich aus Sandsäcken in Bitterfeld-Wolfen.
Eine Bundeswehrsoldatin steht neben einem Deich aus Sandsäcken in Bitterfeld-Wolfen.
dpa Lizenz