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Gemeinde Nudersdorf Gemeinde Nudersdorf: Das Dach überm Kopf ist eine Futterkrippe

Von Ute Otto 12.04.2002, 16:15

Nudersdorf/MZ - "Der Bürgermeister wollte das ja", weiß Verena Brohst. Aber sie habe gehört, dass die Mehrheit des Gemeinderates dagegen ist. "Weil wir da wohl eine Aufsicht brauchen." Und dann, fügt Nicole Birkholz zu, "regen sie sich auf, wenn wir hier sitzen." Mal gemeinsam feten, das sei gar nicht drin. So um die 15 Leute sind sie, wenn alle da sind, "welche Eltern finden das gut, wenn wir da alle in einer Wohnung hocken?"

In wenigen Tagen legen vier der fünf jungen Leute, die sich gegen 16 Uhr dort versammelt hatten (andere kamen später hinzu), ihre Sekundarschulprüfung ab. Haben sogar Lehrstellen in der Umgebung gefunden - als Dachdecker, Kfz-Schlosser und Friseuse zum Beispiel. Aber im Dorf bleiben möchte keiner von ihnen. "Hier ist doch nichts los", sagt Isabell. "Ich werde sicher auch nach Wittenberg ziehen."

So gesprächig die jungen Nudersdorfer sind, so zurückhaltend zeigen sich die Älteren an diesem Nachmittag. "Jetzt bin ich aber enttäuscht, dass keiner weiter da ist", sagt Günter Wüppke. Zwar stellt er sein Fahrrad ab, verkündet auch, dass er sich freut, dass es in Nudersdorf endlich mit dem Straßenbau voran geht, auch in der Siedlung, wo er wohnt. Aber viel mehr mag er nicht erzählen über das Leben im Dorf. Nach einigen Minuten fährt er wieder weg.

Der 73-jährige Erwin Weidemann erzählt zwar, dass er aus Warnemünde stammt, 1963 seine Frau im Urlaub kennen lernte und zu ihr in den Fläming zog. Im Gummiwerk hat er damals drei Mal soviel verdient wie in der Klitsche, wo er zuvor arbeitete. Das habe ihn auch hier gehalten. Aber so richtig in Plauderstimmung ist auch er offenbar nicht, verabschiedet sich bald.

Margot Göhre, auf dem Weg zum Friedhof (wie die Gieskanne verrät), hält an, um ein Ärgernis vorzubringen. Die 68-Jährige war jüngst beim Arzt in Dobien. Dort musste sie gar nicht lange sitzen. Doch der Bus zurück nach Nudersdorf fuhr erst in knapp zwei Stunden. Als sie in Dobien an der Haltestelle stand, stoppte der Schnellbus nach Potsdam. Doch der Fahrer erklärte ihr, dass er sie nicht mitnehmen dürfe, obwohl er in Nudersdorf noch einmal hält. Frau Göhre versteht die Welt nicht mehr: "Fünf Mal am Tag fährt der Bus direkt an meiner Tür vorbei - da sitzt selten jemand drin. Das kostet doch alles - ich frage mich, wer das bezahlt." Jedenfalls habe alles Bitten und Betteln nicht geholfen, der Bus fuhr ohne sie ab und Frau Göhre ging zu Fuß nach Hause - kopfschüttelnd und mit dem Gedanken, dass es ja noch Menschen in Nudersdorf gibt, die älter sind und schlechter zu Fuß als sie.

Auch Sylvia Richter bemängelt die schlechte Busverbindung nach Wittenberg. Ihre Tochter geht in Piesteritz aufs Gymnasium. "Wenn sie erst zur zweiten Stunde hat, muss sie trotzdem früh fahren - oder das Fahrrad nehmen. Man kann ja die Kinder nicht immer bringen und holen."

"Für einen so großen Ort hat Nudersdorf wenig Infrastruktur", vergleicht Sabine Gruber mit Cobbelsdorf "nebenan", wo es, wie sie weiß, allerlei mehr gibt. Was allerdings die Landschaft betreffe "da ist Nudersdorf Spitze", sagt sie.

Dass es mit der Dorferneuerung jetzt voran geht, finden die beiden Frauen in Ordnung. Allerdings bedauert Sabine Gruber, dass die Belziger Straße, wo sie wohnt, nicht mit gefördert wird. Die Bebauung an der Landesstraße, die zur Autobahn führt, sei doch das Schaufenster des Ortes, meint Frau Gruber. "Da müsste auch was gemacht werden." Und Sylvia Richter wiederum befürchtet, dass von der Gartenstraße, für die jetzt im Rahmen der Dorferneuerung der Ausbau geplant ist, nur der Teil gemacht wird, der Gemeindeeigentum ist, weil auf der anderen Seite die Anlieger aus Kostengründen den Ausbau nicht wünschen. "Wir haben doch dort nicht einmal richtige Beleuchtung", sieht sie schon eine Notwendigkeit, auch dort Hand anzulegen.

Als auch die beiden Frauen gegangen sind, ist die übliche Vor-Ort-Stunde noch nicht einmal um. Die Jugendlichen spielen Karten, die Nudersdorfer werkeln im Garten. Normaler Alltag im Dorf.