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Ein Vertrag im Namen des Vaters

Von Brigitte Mittelsdorf 08.06.2005, 16:13

Bitterfeld/MZ. - Zunächst Staunen über Format (1,72 mal 2,18 Meter) und die betörende Ästhetik der mit sicherem Gespür ausgeleuchteten Bilder. Fast lebensgroße Menschen im großbürgerlichen Interieur ihrer Zeit, den späten 20ern vielleicht. Sie treten heraus aus der Schwärze des Hintergrunds in die Wärme des Lichts. Rötlich glänzen die Vertäfelung der Wand, das Holz der Türen. Und alles wäre gut, wäre da nicht plötzlich ein ungutes, ja bedrohliches Gefühl: Etwas stimmt nicht.

Es ist die seltsame, gefrorene Leblosigkeit der Figuren, vor allem der Augen, die irritiert. Und dann entdeckt man: Die Menschen in Harders Bildern sind nicht echt. Es sind Puppen aus Silikon, hineingestellt in diese losen Szenen eines inszenierten Kammerspiels. Die Fotografie wird zur Bühne, der Vorhang hat sich geöffnet: Episoden aus Harders Familiengeschichte, die gleichzeitig eine deutsche ist, stehen auf dem Programm. Das zentrale Thema: die Macht und die Übermacht.

In Harders Bildern spielt der Vater, Fabrikant und Kaufmann, die Hauptrolle. In kalter Einsamkeit stehend auf dem vom Lichtkegel eingefangenen Balkon. Welchen Vertrag mag er gerade ausgehandelt haben in dieser abendlichen Stunde? Der Vater sitzend am Schreibtisch. Vor ihm das aufgeschlagene dicke Buch mit den Einnahmen und Ausgaben. Nichts ficht ihn an. Er ist die Institution, der Herrscher über Zahlen und Unterschriften.

Ein andermal wendet er dem Betrachter den Rücken zu. Vor ihm - getrennt durch schweres Mahagoni - eine Gruppe von Menschen. Sie klopfen an die Tür, sie treten ein. Was wollen sie? Der Vater wird es gewähren oder auch nicht. Und über allem ein gestrenges Bildnis in schwerem Rahmen: der Vater des Vaters.

Andeutung der Unentrinnbarkeit. Generationen, miteinander verflochten im Guten wie im Bösen. "Das Kind unterschreibt blanko etwas", sagt Harder, "auch die ganze Schuldgeschichte." Und das im familiären wie im gesellschaftlichen Sinne. Auf einem der Bilder ein Mann mit einer Hakenkreuzarmbinde. Es ist nicht der Vater. Aber ein Mann in seiner Nähe. Schuld, die angedeutet wird, die stellvertretend steht für jene, die dieses Kreuz - wie auch immer - akzeptierten.

Und es gibt ein Foto, das ein Schlüsselbild sein könnte: Das Kind zwischen Mutter und Vater. Der liegt niedergestreckt am Boden, angestrahlt von einem bläulich-grässlichen Licht. Macht, die besiegt wurde? Ist der Vertrag gebrochen? Der Ausbruch gelungen? Oder gibt es kein Entkommen, und alles ist nur ein Wunschtraum?

Doch wie alle anderen Szenen dieses Kammerspiels entzieht sich auch diese der eindeutigen Aussage. Der Vorhang fällt. Doch das Stück ist nicht zu Ende. Die heraufbeschworenen Gespenster in den Bildern bleiben. Und mit ihnen all die Spielarten von Macht auf dieser Erde. Was wie eine Familiengeschichte anmutet, ist überall.

Ausstellung bis 10. Juli in Galerie am Ratswall. geöffnet dienstags bis freitags 10 bis 12 und 13 bis 17 Uhr: sonntags 10 bis 15 Uhr; montags geschlossen.