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Ein besonderes Buch mit besonderen Geschichten

Von CHRISTINE KRÜGER 21.07.2009, 15:44

ROITZSCH/MZ. - Doch all die Informationen, das Wissen und Halbwissen, das ständig neue Fragen aufwirft, das sie ständig wieder in die Spur schickt - die mussten ja auch irgendwann und irgendwie mal geordnet werden. Mosch ist quasi ein wandelndes "Geschichtsbuch Roitzsch" - wahrscheinlich gibt es nichts hier, was sie nicht kennt.

Und nachdem die frühere Lehrerin und jetzige Ortsbürgermeisterin vor einigen Jahren bereits eine Chronik der Schule erarbeitet hatte und später einen Kalender, hat sie jetzt eine Ortschronik verfasst. Barbara Moschs Augen leuchten, wenn sie das Buch aufschlägt und die Bilder sieht. Mit dem Finger tippt sie hier drauf und da. Und aus ihr sprudeln die Geschichtchen und Episödchen nur

so heraus. Die Läden in Roitzsch! Die Zuckerfabrik! Die Schule! Die Kneipen, das Gut, der Park, die Windmühlen! Das erste Eis am Stiel! Barbara Mosch muss lachen. In der "Filmbühne" hat sie das gegessen. "Wir Kinder haben doch zuerst die Schokolade drumherum abgeknabbert, na dann lief das Wasser schon davon und den Stiel hattest du noch in der Hand." Die

Erinnerung amüsiert sie heute noch. Schon hat sie die nächste Seite aufgeschlagen: das Gut Bauermeister ist zu sehen, der alte Bauermeister auf einem Stuhl im Park sitzend. "Der alte Herr war sehr sozial", sagt Barbara Mosch, Gründungsmitglied des Heimatvereins, und nickt. "Und den Park, in dem er hier sitzt, den haben wir in den vergangenen Jahren wieder schön hingekriegt. Da bin ich stolz drauf."

Die nächste Seite: "Otto Wötzel mit Töchtern" steht da als Unterschrift unter einem Bild, das zwei Mädchen auf Pferden zeigt und einen Mann, der die Pferde an der Longe hält. Auch hierzu gibt es natürlich eine Geschichte - wie auch für die Bilder der nächsten und übernächsten und überübernächsten Seite. "Das macht mir so viel Spaß - das ist für mich keine Arbeit."

Das, was sie in der Chronik mit liebevoll ausgewählten Details darstellt und spannend beschreibt - das ist ihr Dorf. Dafür schlägt ihr Herz. "Für mich ist das wirklich so: Das ist meine Heimat. Hier lebe ich seit ich denken kann, hier sind meine Familie, meine Freunde, ehemaligen Kollegen und Schüler und alle die Leute, die ich kenne. Wenn ich weg war und wieder nach Roitzsch reinkomme, finde ich das so schön. Das ist schon was Besonderes." Wer die Chronik liest, weiß, wovon die Rede ist.

Unterstützt haben sie viele Dorfbewohner, die alle hier ein Stückchen Familiengeschichte, dort ein Stückchen Stammtisch-Erinnerung oder eigene Kindheitserlebnisse zum großen Puzzle beigetragen haben. Gesucht und nachgeforscht hat sie in unzähligen Unterlagen und Papieren.

500 Chroniken sind herausgekommen im Mai, fast alle sind schon verkauft. Bis nach Italien hat sie Bücher verschickt, weil heute auch dort ein ehemaliger Roitzscher lebt. Das freut Barbara Mosch, weil sie sieht, dass sie den Nerv der Roitzscher getroffen hat. 1947 ist sie mit ihren Eltern aus Schlesien in das landwirtschaftlich und industriell geprägte Dorf nahe Bitterfeld gekommen, da war sie ein Jahr alt. Tante und Onkel wohnten schon hier - auf dem Gut. "Der Onkel war Kutscher und für die Pferde verantwortlich. Mit dem hab ich mich viel unterhalten, der wusste viel. Und er hatte auch geschichtliches Interesse, aber wie es eben so war: keine Zeit." Damals sei wohl ihr Interesse für die heimatliche Historie geweckt worden. Und solche Leute, meint sie, die solche Geschichten erzählen können, die fehlten jetzt, die sind tot. "Das merkt man erst, wenn man sich selbst mit so was befasst", weiß sie heute.