Drückjagd in Bitterfeld Drückjagd in Bitterfeld: Versteckspiel mit Wildschweinen

Bitterfeld - Es ist früh am Tag, das Thermometer zeigt gerade einmal fünf Grad. Carsten Helling lächelt. „Einige von euch sind zu warm angezogen“, sagt er. Wie bitte?! Doch Helling, Hauptorganisator der ersten revierübergreifenden Drückjagd auf Wildschweine im Goitzsche-Wald (Anhalt-Bitterfeld) soll Recht behalten. Den Männern und Frauen mit orangenen Warnjacken, die er als Treiber einteilt, wird schnell warm werden.
Samstagmorgen, kurz vor 9 Uhr: Rund 100 Jäger und Treiber sind inzwischen belehrt und haben sich auf fünf verschiedene Jagdreviere - insgesamt knapp 1000 Hektar groß - verteilt. Es kann losgehen. Helling selbst ist mit seiner Hündin Edda in einer 14-köpfigen Treibergruppe, die sich durchs Unterholz den Hang des Bitterfelder Berges hoch kämpft. An Kälte verschwendet bald keiner mehr einen Gedanken. Ab und an ertönt ein tiefes, lang gezogenes „Hoooopp, hoooopp“ durchs Dickicht. „Das ist nicht für die Wildschweine, die wissen auch so, dass wir da sind“, sagt Jäger Peter Pannier. Seine Rufe sollen den Nachbarn signalisieren, wo er und Hündin Anka sind. Treiberketten bei einer Drückjagd sind nicht so eng. Es geht darum, Wildschweine relativ ruhig aus ihren Verstecken zu locken, nicht, sie in Panik zu versetzen.
Milde Winter und reichlich Nahrung
Schnell hallen die ersten Schüsse durch den Wald, in dem an ausgewählten Stellen Jäger auf Hochsitzen Platz genommen haben. Jeder Schuss ist nicht die Lösung des Problems, soll aber ein Schritt dorthin sein. Schon seit dem vergangenen Winter hat Bitterfeld zunehmend Sorgen durch Wildschweine, die am Stadtrand und selbst mitten in der Stadt ihr Unwesen treiben. Milde Winter und reichliche Nahrungsangebote haben dafür gesorgt, dass der Bestand in der nahen renaturierten Goitzschelandschaft offensichtlich explosionsartig gestiegen ist.
In Sachsen-Anhalt sind im vergangenen Jagd-Jahr nach Angaben des Landesjagdverbandes insgesamt 28134 Wildschweine erlegt worden - deutlich weniger als noch im Jahr zuvor (34573). Schwankende Strecken seien aber „schwarzwildtypisch“, so der Verband. Regional habe zum Beispiel ein strenger Spätwinter 2013 Einfluss auf die Population gehabt.
Die meisten Wildscheine wurden in den Landkreisen Harz (4084) und Wittenberg (4379) geschossen, am stärksten gesunken ist die Strecke im Landkreis Mansfeld-Südharz (von 4 708 auf 2979). Erschwert wird die Jagd laut Verband durch hochwachsende Landwirtschafts-Kulturen wie Mais oder Raps.
Rund 2000 Tonnen Wildbret werden in Sachsen-Anhalt jährlich durch Jäger „produziert“. Insgesamt hat das Land rund 1,9 Millionen Hektar Jagdfläche, rund 433000 Hektar davon sind Waldgebiet. Am häufigsten gejagt werden Rehe.
Zuletzt erhielten Schüler eines Bitterfelder Gymnasiums unfreiwillig anschaulichen Bio-Unterricht, als die Tiere immer wieder an ihrer Schule auftauchten. Eltern in Sorge, erschreckte Zeitungszusteller, überraschte Autofahrer, die mitten in der Stadt auf ganze Rotten von Wildschweinen trafen - Bitterfeld war im Zugzwang. Weder seit Jahresbeginn verstärkte Einzeljagden noch die Rodung von Brachflächen im Stadtgebiet, die von den Tieren als neue Heimat gewählt wurden, konnten das Problem bisher lösen. Lösen, sagt Helling, Betriebsleiter beim Goitzsche-Eigentümer Blausee, könne es auch die Drückjagd nicht. „Wir können nur dazu beitragen.“ Auf bis zu 1000 Tiere wird der Wildschweinbestand in der Goitzsche mitunter geschätzt. 500 bis 600 hält Helling für realistisch. Das sind immer noch mehr als die 100, die es einst gewesen sein sollen.
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Hellings Treibergruppe hat inzwischen den Bitterfelder Bogen erreicht. Zeit für den herrlichen Ausblick von dem riesigen Stahlkonstrukt ist nicht. Am Hang verteilt geht es wieder ein Stück bergab. Im Hintergrund ist ständiges Bellen zu hören, unter anderem von zwei Deutschen Jagdterriern. Insgesamt sind rund 25 zum Teil mit GPS-Sendern ausgestattete Hunde im Einsatz. Was für den Laien „nur“ nach völlig aufgedrehten Hunden klingt, verrät dem Experten viel mehr, wie Jäger Pannier erklärt. Der könne am Bellen - jagdsprachlich „Laut geben“ - der Tiere nicht nur erkennen, auf welches Wild sie reagieren. Er höre auch, ob sie nur eine Spur haben oder das Wild sehen. Oder aber, ob ein Wildschein die Konfrontation mit dem Hund sucht. „Dann wird der Ton tiefer und länger“, so der Jäger.
Immer wieder passieren die Treiber Stellen, an denen Jäger ansitzen. Nicht jeder von denen hat Glück. „Hier spielen nur die Blätter“, ruft einer. Auch Joachim Schröder, Gastjäger aus dem Saalekreis, hat noch kein Schwein erlegt. „Schwierige Stelle“, sagt er. Ein Keiler war zu schnell. Und schießen könne er nicht immer - höchstens in den Hang oder auf sehr kurze Distanz. „Dorthin“, sagt er und zeigt auf eine Schneise, „geht gar nicht.“ Sicherheit geht vor. Wie zum Beweis kommen aus der Schneise zwei Treiber.
„Alles voller Sauen“
Auf einem Plateau über Schröder aber geht es plötzlich rund. Die Hunde sind außer Rand und Band, ein Treiber ruft: „Hier drin ist alles voller Sauen.“ Auf dem ehemaligen Deponieareal steht der Ginster fast mannshoch. „Im Ginster haben die Sauen Deckung ohnegleichen“, sagt Pannier. Sie würden stehen bleiben und regelrecht darauf warten, dass man sie in den A... tritt. „Hier spielen die Verstecken mit uns.“ Einem Teil gelingt das nicht: Sieben Wildschweine schießt das Treiberteam allein in diesem Areal.
In Sachsen-Anhalt sind im vergangenen Jagd-Jahr nach Angaben des Landesjagdverbandes insgesamt 28134 Wildschweine erlegt worden - deutlich weniger als noch im Jahr zuvor (34573). Schwankende Strecken seien aber „schwarzwildtypisch“, so der Verband. Regional habe zum Beispiel ein strenger Spätwinter 2013 Einfluss auf die Population gehabt.
Die meisten Wildscheine wurden in den Landkreisen Harz (4084) und Wittenberg (4379) geschossen, am stärksten gesunken ist die Strecke im Landkreis Mansfeld-Südharz (von 4 708 auf 2979). Erschwert wird die Jagd laut Verband durch hochwachsende Landwirtschafts-Kulturen wie Mais oder Raps.
Rund 2000 Tonnen Wildbret werden in Sachsen-Anhalt jährlich durch Jäger „produziert“. Insgesamt hat das Land rund 1,9 Millionen Hektar Jagdfläche, rund 433000 Hektar davon sind Waldgebiet. Am häufigsten gejagt werden Rehe.
Am Ende sind es 24 Schwarzkittel, die von allen zur Strecke gelegt werden. Helling ist zufrieden. „Für den ersten Versuch ist das ganz ordentlich.“ Auch wenn er sich 40 gewünscht hätte. Das milde Wetter habe den Wildschweinen geholfen: Noch ist im Wald viel Grün, aus dem die Tiere nur schwer herauszutreiben sind. „Ohne die Hunde hätten wir keine Chance gehabt.“ Einfacher werde es, sobald es Frost oder den ersten Schnee gab. Diese Woche soll die Jagd ausgewertet, dann über einen Wiederholungstermin beraten werden.
Erst einmal aber sind es 24 Tiere weniger, die in der Stadt auftauchen können. Gut möglich ist, so Henning, dass sich andere Schweine zunächst zurückziehen. Garantiert ist das nicht. (mz)
