Drei Riesen gehen in die Knie
FRIEDERSDORF/MZ. - Schon in aller Frühe ist ganz Friedersdorf auf den Beinen. Nach dem Motto "Zeitiges Kommen sichert beste Plätze" füllt sich in Windeseile der Deich, von dem aus man den besten Blick auf das einstige Bahnkraftwerk mit den markanten Essen hat, mit Neugierigen. Und die Autos verraten, wo echte Spreng-Fans wohnen: in Dresden, Leipzig, Halle, Berlin, Dessau, Delitzsch, Chemnitz und anderswo. Und wer es noch nicht wusste, weiß es jetzt: Schlager-Star Frank Schöbel ist einer von ihnen. Er war extra aus Berlin gekommen.
Aus alter Liebe sind der letzte Leiter des Werks, Klaus Hiltrop, aus Dessau und der einstige Leiter des Bereichs Lastverteilung, Roland Granzner, aus Dresden hier. "Das tut schon weh, wenn jetzt die Schornsteine fallen", sagt Hiltrop. "Das war mal ein schönes Kraftwerk. 300 Mitarbeiter hatten wir - gute Leute, richtig engagierte Fachleute. Das war die schönste Zeit meines Berufslebens." Und Granzner erinnert sich: "Die Bahnmaschine 603 war die letzte von Dreien, die außer Betrieb ging."
Mit weniger Wehmut verfolgen Helene und Horst Bitzner das Geschehen. Beide wohnen seit Jahren in der Kraftwerkssiedlung. "Gleich gegenüber vom Werk", sagt Frau Bitzner. Aber um die Essen machen sie nicht so viel Theater. Obwohl sie jahrelang selbst im Kraftwerk gearbeitet haben - sie in der Küche, er war Schlosser. "Ach, da ist doch schon alles weg", sagt Horst Bitzner. Kaum erwarten können das Ereignis indes die Kinder. "Wann kippen die Schornsteine endlich um, Mama", fragt ein Wicht und rennt über die Wiese vom Wassersportzentrum. Beim zweiten Hup-Signal bleibt er wie vom Donner gerührt stehen. Doch es tut sich nichts da vorn auf dem Berg. Es bleibt still. Sekunden vergehen. Dann knallt es dreimal dumpf. Und wie von Geisterhand geschubst sacken die Giganten ab und kippen ganz langsam um. Nun sind sie nur noch 6 000 Tonnen Schutt.
Die Leute klatschen. Das gilt dem Spreng-Team. Doch das hört nichts, denn die Männer um Martin Hopfe von der Thüringer Sprenggesellschaft haben weiter zu tun. Sie kontrollieren, ob auch alles seinen Gang ging. Dass die Schornsteine so gefallen sind wie sie sollten, das allerdings hat auch der Laie erkannt. 360 Essen hat das Team schon gesprengt. "Eine Sprengung", sagt Hopfe, "ist 70 Prozent Erfahrung, der Rest ist Berechnung." Das, was seine Männer eben vollbracht haben, sei eine anspruchsvolle Sprengung gewesen. "Die Gemeinde hat uns tatkräftig unterstützt. Ohne die Leute hier wäre das nicht möglich gewesen", sagt er. Und: "Es war aufregend, sehr sogar. Jeder Sprengung muss man Achtung entgegenbringen, sonst schleicht sich Routine ein."
Die 80 Feuerwehrleute von Muldestausee, die hiesige und die Bundespolizei, das Team um die Bürgermeisterin, Auftraggeber Carsten Brettschneider - alle sind glücklich. Das Areal kann nun als Fläche für ein Solarfeld hergerichtet werden. "Das war noch wie ein Kloß im Hals", so Brettschneider. Auch die ICE-Strecke kann wieder frei gegeben werden. "Wesentlich vor unserer Zeit", sagt Einsatzleiter Lutz Schneider. Wenn nicht, wäre das mehr als teuer geworden: Jede Minute, die die Bahn nach dem festgelegten Zeitpunkt - 11 Uhr - länger auf das Okay hätte warten müssen, hätte 1 700 Euro gekostet.