Die Selbstständigkeit begann als eine große Bildungsreise
SANDERSDORF/MZ. - An die berühmte Geschichte vom Garagenunternehmen, das zur Weltfirma geworden ist, hat Helga Nuckelt mit keiner Silbe gedacht, als sie 1990 ein eigenes Unternehmen gründete. Auch wenn in Sandersdorf alles in einer unbeheizten Garage eines Wohnhauses in der Eigenheimstraße begann - hochfliegende Pläne wurden dort nicht geschmiedet.
Die Ingenieur-Ökonomin, die zuletzt im Büro für Neuererwesen des Bitterfelder Braunkohlenkombinates gearbeitet hatte, wollte im April 1990 einzig und allein der Arbeitslosigkeit zuvorkommen. Was ihr auch gelungen ist. Das Geschäft für Motorradzubehör, Ersatzteile und Bekleidung in der Greppiner Straße gibt es nun schon 20 Jahre und ist für Biker der Region zu einer bekannten Adresse geworden. Ihre Kunden kommen nicht nur aus Sandersdorf und Bitterfeld-Wolfen, auch aus Dessau, Delitzsch, Gräfenhainichen und Leipzig.
"Ich könnte Romane schreiben", sagt die 54-Jährige über die zurückliegenden zwei Jahrzehnte. "Wir waren damals alle auf Bildungsreise, auch die Leute im Finanzamt und im Steuerbüro." Die Geschäftsidee hatte ihr damaliger Mann, ein begeisterter Motorradfahrer. Helga Nuckelt, die sich in der Branche nicht auskannte, musste sich das Wissen über Leder-Kombis, Helme Reifen und Öl erst aneignen. Anfangs versuchte sie es neben dem Verkauf auch mit Autovermietung und Transportleistungen. Die Anzeige über die Geschäftseröffnung hat sie aufbewahrt. "Ihre Voranmeldungen und Aufträge, auch Sonderwünsche, nehmen wir ab sofort gern entgegen", ließ sie im April 1990 wissen.
Vom damaligen Geschäftsfeld sind nur ein Drittel und der Name ATV geblieben. Transporte und Kurierfahrten habe bald jeder Zweite im Angebot gehabt, sagt sie. Und bei der Vermietung sei manches geliehen und nicht wiedergebracht worden. "Ein Motorrad, das einfach weiterverkauft wurde, ist später bei einer Hausdurchsuchung wiedergefunden worden", berichtet Helga Nuckelt. Autos sind zu Schrott gefahren worden, so dass sie die Vermietung dann aufgegeben hat.
Bei solchen Entscheidungen haben ihr in all den Jahren nicht nur Tochter und Sohn, ihre Mutter und Bekannte zur Seite gestanden. "Auch der Austausch, die Anregungen und Informationen am Unternehmerinnen-Stammtisch haben mir gut getan", sagt sie. Mitunter wirke es beruhigend, dass andere mit ähnlichen Erscheinungen zu kämpfen haben, wie sie sie auch in ihrem Geschäft verzeichnet.
In neuerer Zeit sind es zum Beispiel Kunden, die sich im Fachgeschäft ausführlich beraten lassen und die Sachen eingehend anprobieren, um sie am Ende im Internet zu bestellen. Ausgleich dafür sind für sie die treuen Kunden, die das Geschäft am Sandersdorfer Kreisel als Bereicherung für die Stadt ansehen.