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DDR-Vergangenheit in Bitterfeld DDR-Vergangenheit in Bitterfeld: Mit dem Segen von ganz oben zur Partnerstadt

Von Ulf Rostalsky 13.10.2014, 08:46
Gäste und Gastgeber gehen an Bord der „Vineta“, um die Veränderungen rund um die Goitzsche zu erleben.
Gäste und Gastgeber gehen an Bord der „Vineta“, um die Veränderungen rund um die Goitzsche zu erleben. Thomas Ruttke Lizenz

Bitterfeld - Bitterfeld und Vierzon haben allen Grund zu feiern. Die Partnerschaft der beiden Städte hält seit 55 Jahren. „Das Schönste sind die Begegnungen“, meinte Bitterfeld-Wolfens Oberbürgermeisterin Petra Wust (parteilos) während einer Feierstunde am Samstag im Rathaus Bitterfeld. Vierzons Stadtoberhaupt Nicola Sansu sieht das nicht anders. Er ist es aber auch, der die Pflege der Partnerschaft anmahnt. „Es wird schwieriger bei uns, das Interesse an Deutschland und dem Deutschunterricht zu wecken“, sagt der Franzose geradeheraus und spricht von einem deutlichen Zulauf nationaler Parteien auch in seiner Stadt.

An den dreitägigen Festivitäten zum 55. Jahrestag der Partnerschaft zwischen Bitterfeld und Vierzon nahmen neben Franzosen auch Vertreter aus anderen Bitterfeld-Wolfener Partnerstädten teil. Die weiteste Anreise hatte die Abordnung aus dem russischen Dzershinsk.

In Bitterfeld zu Gast waren außerdem Freunde aus Kamienna Gora (Polen), Marl und Witten (Nordrhein-Westfalen). Neben der offiziellen Feierstunde im historischen Bitterfelder Rathaus standen für die Partner Besuche bei der Bayer Bitterfeld GmbH und im Gesundheitszentrums Bitterfeld-Wolfen auf dem Programm.

Auch die Veränderungen in der Region rund um Bitterfeld sollten die Besucher hautnah erleben können. So ging es mit einem Oldtimerbus auf Entdeckungstour quer durch alle Bitterfeld-Wolfener Ortsteile. Denn durch die Zusammenlegung zur großen Stadt sind die früheren Partnerstädte von Bitterfeld und von Wolfen automatisch Partner der gesamten Kommune geworden.

Die „Vineta“ stach schließlich mit den Gästen zu einer abendlichen Tour in See. Denn die Goitzsche durfte nicht fehlen.

Mit Schwierigkeiten hatten Bitterfeld und Vierzon allerdings oft zu leben. Als sich Stadträte beider Kommunen 1959 die Hand reichten und den „Erfahrungsaustausch zwischen beiden Städten“ offiziell in Gang brachten, war das eine Nachricht für die ganz große Presse. Zur Jubiläumsfeierstunde am Rathaus aber ist dies nicht mehr als eine Randnotiz. „Wir sollten in den Vordergrund stellen, was uns vereint, nicht trennt“, legt Nicola Sansu den Partnern nahe.

1959 gab es keinerlei vertragliche Bindungen zwischen der DDR und Frankreich. Man saß auf unterschiedlichen Seiten des Eisernen Vorhangs. Die DDR war von Frankreich nicht anerkannt. Das geschah erst 1973. Auch die Bundesrepublik regelte freundschaftliche Beziehungen mit den Franzosen erst 1963 im Éliysée-Vertrag.

War Bitterfeld mit seiner Städtepartnerschaft also ein Vorreiter? So weit will Rudi Jenohr nicht gehen. Der fast 90-Jährige war Ende der Fünfziger mit dabei, als die Freundschaftsbande geknüpft wurden. Er vertrat Bitterfeld im Deutschen Städte- und Gemeindebund. „Damals war klar, dass es zum zehnten Republikgeburtstag zehn Städtepartnerschaften mit Frankreich geben sollte.“ Jenohr dachte an Kommunen aus der Lyoner Gegend, konnte aber auch mit Vierzon leben. Offiziell sei von ganz oben entschieden worden, dass eine Kommune mit Porzellanindustrie gut zu Bitterfeld mit seiner langen Tradition der Tonwarenherstellung passen würde.

Die Beziehung möglich machte freilich nicht zuletzt die Tatsache, dass Vierzon Ende der Fünfziger mit Léo Merigot einen kommunistischen Bürgermeister hatte. Der warb für den Bund, der schnell das Laufen lernte. Allerdings nur in eine Richtung. Die Bitterfelder durften nie nach Frankreich reisen. Rudi Jenohr spricht deshalb von einer zweigeteilten Partnerschaft: 30 Jahre mit Eisernem Vorhang, 25 Jahre ohne. Dennoch hat sich der frühere Rathausangestellte immer gern eingebracht. „Ich war jahrelang mit den Franzosen im Ferienlager in Zingst an der Ostsee. Erst als ich 68 Jahre alt war, bin ich nicht mehr mitgefahren.“

Jenohr lebt und liebt die Partnerschaft. „Ich werde weitermachen, wenn denn meine Kraft noch reicht.“ Als bald 90-Jähriger müsse er schon aufpassen. Dass er jedoch zum 55. Jahrestag der Städtepartnerschaft die Vierzoner Freiheitsmedaille bekam und damit nach Aussagen Nicola Sansus praktisch Ehrenbürgerrecht bei den Partnern genießt, verleiht ihm Aufwind. Rudi Jenohr war im September zum ersten Mal überhaupt in der Partnerstadt. Und es war vielleicht nicht das letzte Mal.

Bitterfeld und Vierzon ziehen seit 55 Jahren mehr oder weniger kräftig an einem Strang. Viel ist geschehen. Viel aufgeschrieben allerdings nicht. „Ich hoffe, dass sich möglichst viele Leute einbringen, Texte und Fotos zur Verfügung stellen.“ Bitterfelds Ortsbürgermeister Joachim Gülland (Linke) möchte zum 60. eine detaillierte Chronik der Partnerschaft präsentieren. (mz)

Zeitzeuge: Rudi Jenohr war bereits 1959 bei der Vertragsunterzeichnung dabei.
Zeitzeuge: Rudi Jenohr war bereits 1959 bei der Vertragsunterzeichnung dabei.
Thomas Ruttke Lizenz
Nicola Sansu trägt sich bei Petra Wust ins Goldene Buch der Stad t ein.
Nicola Sansu trägt sich bei Petra Wust ins Goldene Buch der Stad t ein.
Thomas Ruttke Lizenz