«Das ist dieneue Pastorin»
Halle/MZ. - Raguhn / MZ. Die Zeiger der Raguhner Kirchturmuhr bleiben am 14. August stehen als es 13.40 Uhr ist. Der Strom ist abgeschaltet worden. Eine Stunde später geht in der Altstadt ohne Gummistiefel nichts mehr. Das, wovor alle Angst haben, wird wahr: Das Wasser ist ...
Raguhn / MZ. Die Zeiger der Raguhner Kirchturmuhr bleiben am 14. August stehen als es 13.40 Uhr ist. Der Strom ist abgeschaltet worden. Eine Stunde später geht in der Altstadt ohne Gummistiefel nichts mehr. Das, wovor alle Angst haben, wird wahr: Das Wasser ist da.
Pfarrerin Swantje Adam, die gerade aus Natho bei Dessau in ihrer neuen Kirchengemeinde Raguhn angekommen ist, erinnert sich: Um 15 Uhr verabschieden sich die beieinander stehenden Nachbarn. Aus dem Fenster beobachtet sie, wie das Wasser steigt. Es rauscht, als würde ein Wildwasserbach sich ergießen. "Ich hatte Angst", sagt sie. "Und in meiner Angst habe ich meinem Hund die Geschichte von der Sintflut vorgelesen - weil ich weiß, dass sie gut ausgeht. Eigentlich habe ich sie mir selbst vorgelesen."
Ihren Antrittsbesuch beim Bürgermeister hat sie noch nicht geschafft, da ist die junge Frau in der Stadt schon bekannt. Am Sandsackwall, wo sie mit schleppt und baut, tuschelt man: "Ach, das ist die neue Pastorin."
Die Mulde hat die Altstadt überflutet. Die Menschen rackern, ermuntern sich, rackern, können nicht mehr, es geht doch weiter. Fluthelfer kommen von überall her. Das Pfarrhaus wird zu Herberge und Hilfe-Büro zugleich. "Ehe sich das Rathaus gefunden hatte, hat sich das Netzwerk Kirche gefunden", sagt sie. Eine große Welle der Hilfsbereitschaft rollt an. Was sie am meisten imponiert, das ist diese wahnsinnig große Solidarität. "Es kamen so viele Spenden, so viele. Ich habe das gar nicht gerne gemacht, die Gelder zu verteilen, obwohl ich Leute vom Gemeindekirchenrat neben mir hatte. Die Entscheidung war schwer. Dann haben wir das zusammen mit der Stadt gemacht." Konfrontiert wird sie auch mit Fragen wie: Warum bekommen Leute von der Kirche Geld, die nicht in der Kirche sind?
Am 17. August soll die neue Pfarrerin in ihr Amt eingeführt werden. Wie, wo - in all dem Chaos? In der völlig kaputten Kirche? "Draußen hatten wir Tische aufgestellt, weiß eingedeckt. Wer den Kuchen gebacken hat, weiß ich nicht. Es war beeindruckend: Die Leute kamen aus ihren Katastrophen-Wohnungen, teilweise in ihren dreckigen Sachen, haben sich an die weißen Tische gesetzt und mit gefeiert." Ähnliches erlebt sie Weihnachten. Der Gottesdienst soll in der Kirche stattfinden. Doch kann der Betonfußboden nicht gegossen werden. Es ist zu kalt. "Das Betonwerk hatte schon geschlossen vor dem Fest. Und dann haben sie nochmal aufgemacht und den Boden gegossen. Wir haben unsere Kirche geschmückt und den Gottesdienst gefeiert." Episoden wie die machten ihr deutlich: "Man braucht eigentlich gar nicht viel." Von der sagenhaften Solidarität, weiß sie, ist nur noch wenig zu spüren. Geblieben ist die Flut als ein kollektives Trauma. Bei jeder Familienfeier, jeder Beerdigung werde immer wieder davon erzählt. "Ich hab nicht so sehr am Wasser gebaut", gibt sie zu, "aber das hat's schon in sich."
Noch ist nicht alles erledigt. Von den Folgeschäden hatte ja keiner eine Ahnung. Auch das Pfarrhaus hat erst nach einem Jahr Risse bekommen. "Und noch ist der Deich nicht geschlossen. Wir hoffen alle sehr, dass das bald erledigt ist."