Bonus-Stunde Bonus-Stunde: Uhrmacher sorgt für die richtige Zeit
Bitterfeld/MZ. - Des einen Freud ist den anderen Leid. Das gilt wohl ausnahmslos für die Umstellung der Uhren von der Sommer- auf die Winterzeit am morgigen Sonntag. Besser gesagt, auf die Normalzeit, schließlich bekommt der Zeitgeschundene nur jene Stunde zurück, die ihm im Frühjahr gestohlen wurde. Ganze 60 Minuten mehr also, die es sinnvoll auszufüllen gilt. Und hier kommt auch wieder das sprichwörtliche Leid ins Spiel. Einer, der nämlich ordentlich Arbeit mit der Zeitumstellung hat, ist Manfred Mücke. Er muss unzählige Zeiger rücken.
Der Bitterfelder, seines Zeichens Uhrenmacher, führt seit 1982 einen Laden in der Walter-Rathenau-Straße. Dort ticken etwa 300 Uhren in allen Größen und Formen. Und die meisten davon muss er auf den neusten Stand der Zeit bringen. "Das heißt: jede einzelne Uhr aus der Vitrine nehmen, einstellen und wieder ordentlich zurückstellen", stöhnt Mücke. Das koste vor allem eins: Zeit. So gesehen komme ihm die zusätzliche Stunde also auch wieder ganz recht. Obwohl sie eigentlich kaum ins Gewicht falle. Bereits seit gestern stellt und dreht der 41-Jährige nämlich an seinen Zeitmessern, erfahrungsgemäß gehe dafür eine ganze Woche ins Land. Selbst dann, wenn Ehefrau Verena mithilft und dafür so machen Fingernagel opfert.
Schuld an der vielen Arbeit ist im Grunde Benjamin Franklin, einst Präsident der USA und als Tüftler bekannt. 1783 kam er auf die Idee, den Arbeitstag entsprechend der Jahreszeiten so umzustellen, dass mehr Energie gespart werden kann, weil das Tageslicht besser ausgenutzt wird. In Deutschland setzten die Regierungen auch tatsächlich immer dann auf das Zeiger-Rücken, wenn die Energie knapp war. Im Zweiten Weltkrieg etwa, und noch bis 1949. Damals gab es sogar eine "Hoch-Sommerzeit". Ganze zwei Stunden mussten im Frühling dem Sparzwang weichen. Erst 1978, als eines der letzten Länder Europas, beschloss die Bundesregierung den Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit. Sie hatte damit so lange gewartet, bis sich auch die DDR am kollektiven Zeitsprung beteiligte.
Die Bitterfelder machen sich allerdings kaum Gedanken über die zusätzliche Stunde. Vom vielen Gerede um den völlig verwirrten Biorhythmus halten sie nichts. "Ich schlaf eben einfach ein bisschen länger am Sonntag", meint Lothar Wagner gelassen. Schon seit Tagen freue er sich darauf. Jana Silex hingegen gönnt sich die Bonus-Zeit schon heute abend beim Bowlen. Und hofft, dass die Stunde ja vielleicht kostenlos ist. "Zum Glück hab ich gerade Urlaub, sonst wäre meine Schicht im Restaurant ewig lang gewesen."
Des anderen Freud - dieser Teil des Sprichwortes trifft auch auf Rosemarie Wrzal zu. Mit ihrem Mann im Schlepptau geht es heute in den Garten. Die Hütte muss gedämmt werden. "Es wurde wirklich Zeit", sagt die Rentnerin und lacht über den ungewollten Doppelsinn. Die Winterstunde soll also dem Häuschen zugute kommen. Eigentlich würde sie die aber auch gern verschlafen, gibt sie augenzwinkernd zu. "Früher, als ich noch im Ordnungsamt war, hatte ich um sieben die ersten Termine. Seit ich Rentner bin, ist das ganz furchtbar mit dem Aufstehen."
Ein echter Frühaufsteher ist hingegen Christa Sander. Zuverlässig gegen sechs Uhr entfleucht sie dem letzten Traum. Damit das auch morgen so bleibt, nutzt sie einen einfachen Trick: "Ich gucke abends länger Fernsehen." So gar nicht aus der Ruhe bringen lässt sich Erwin Heinrich. Der 84-Jährige hat sich überhaupt nichts für die auferlegten 60 Minuten vorgenommen. "Ich hab schließlich Zeit."