Bitterfelder Wirtschaft Bitterfelder Wirtschaft: Kein Nachfolger in Sicht

Wolfen/MZ - Als Elvira Lieder ihn fragte, ob er die Firma übernehmen wollte, hörte sie zwei Wochen erst einmal gar nichts. „Aber dann ging es schnell ans Eingemachte, das war ein sehr langer Prozess. Und nun werde ich mich Schritt für Schritt zurück ziehen“, sagt die 61-Jährige. Sie übergibt die AbS Lieder GmbH in Wolfen scheibchenweise an Florian Hesse, den neuen Geschäftsführer. Lieder will sich aus Altersgründen zurückziehen, sie war vor elf Jahren in die 1992 gegründete Firma für Arbeitsschutzkleidung und brandschutztechnische Ausrüstung eingestiegen. „Ich will, dass sie weiter geführt wird. Und ich kann nur raten: Um eine Übergabe sollte man sich frühzeitig kümmern.“
Ein Schritt, vor dem in den kommenden Jahren viele Seniorchefs stehen - doch die meisten finden keinen Nachfolger. Ein Problem, das in der Region akut wird: Bis 2020 stehen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld mehr als 250 Unternehmensübergaben an, im Süden Sachsen-Anhalts sind es rund 2.000. Rund 80 Prozent davon haben Schwierigkeiten, einen passenden Nachfolger zu finden. Das geht aus dem Nachfolgereport der Industrie- und Handelskammer (IHK) Halle-Dessau hervor. „Allein durch die demografische Entwicklung wird der Unternehmensbestand bis 2020 um rund ein Fünftel sinken. Unsere größte Sorge ist: Gelingen die Übergaben nicht, werden Kapital, Arbeitsplätze und Lebenswerk vernichtet“, sagt IHK-Geschäftsführer Manfred Piotrowsky.
Historische Zusammenhänge
Dass so viele Nachfolgen anstehen, hängt auch mit der Geschichte Ostdeutschlands zusammen. Zu DDR-Zeiten gab es keine große Unternehmer-Tradition. Nach der Wende machten sich viele mit einer eigenen Firma selbstständig. Die Unternehmenschefs waren damals um die 40, nun steht der Ruhestand bevor. Zwar wollen die meisten laut Befragung ihre Firma in Familienhand geben (siehe „Nachfolgereport“). Doch falls dies nicht funktioniert, muss ein externer Nachfolger gefunden werden - und das stellt die Seniorchefs vor größte Schwierigkeiten. Demografischer Wandel, Fachkräftemangel und steigende Risiken für Unternehmen sind nur einige der Gründe.
Aber es liegt eben oft auch am Chef selbst. „Viele beginnen erst jenseits der 60, sich um die Nachfolge Gedanken zu machen - viel zu spät“, sagt Achim Schaarschmidt, Referent für Wirtschaftsförderung bei der IHK. „Dazu kommen unrealistische Kaufpreisvorstellungen. Aber die Übergabe scheitert auch, weil die Suche nach einem Nachfolger emotional sehr aufgeladen ist.“ Vor allem Unternehmer in Ostdeutschland hätten ihre Firmen unter sehr schwierigen Bedingungen aufgebaut. Sechs von zehn im IHK-Bezirk sagen deshalb, dass sie ihr Lebenswerk nur schwer loslassen können - viel mehr als im Bundesdurchschnitt. „Das zeigt auch das immense persönliche und finanzielle Engagement der Gründergeneration nach der Wiedervereinigung.“
Um einem Unternehmenssterben gegenzusteuern, veranstaltet die IHK Informationsabende zum Thema Nachfolge, in der Region Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg in fünf Städten. „Unternehmer sollten sich rechtzeitig, mindestens fünf Jahre vorher, mit einer Übergabe beschäftigen und mit den Vorbereitungen beginnen“, rät Piotrowsky. Letztlich gehe es darum, eine Firma attraktiv zu machen, also übergabefähig. Aber auch um rechtliche und steuerliche Fragen müssten sich Chefs kümmern. Über die IHK kommen sie an entsprechende Nachfolge-Netzwerke, aber auch Fachberater, und werden während der Übergabe begleitet. Bei diesem Prozesses wolle man die Informationspolitik verbessern. „Am Ende geht es darum, Selbstständigkeit als attraktive Lebensalternative wahrzunehmen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“