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Mit dem Zug ins Leben Bevorstehender Abriss: Buch soll Erinnerung  an Bitterfelder Bahnhof wachhalten

Das fast 165 Jahre alte Gebäude wird nun abgerissen. Mit einem Buch von Peter Hoffmann sollen Geschichte und Erinnerungen wachgehalten werden.

Von Silke Ungefroren Aktualisiert: 03.01.2022, 10:57
Druckfrisch liegt es auf dem Tisch: Schriftsteller Peter Hoffmann hat ein Buch über den Bitterfelder Bahnhof geschrieben.
Druckfrisch liegt es auf dem Tisch: Schriftsteller Peter Hoffmann hat ein Buch über den Bitterfelder Bahnhof geschrieben. (Foto: André Kehrer)

Bitterfeld/MZ - Seine erste Bekanntschaft mit dem Bitterfelder Bahnhof machte Joachim Gülland 1959, als er mit der Jugend-Volleyballmannschaft zu einem Freundschaftsspiel aus Eisleben angereist war. „Sofort war ich von seiner Größe und Weitläufigkeit beeindruckt“, erinnert sich der heutige Ortsbürgermeister von Bitterfeld. Übrigens auch an das „vorzügliche Bauernfrühstück“, das er damals im Mitropa-Restaurant serviert bekam ...

Nun sind die Tage des Bahnhofsgebäudes gezählt. Das markante Objekt - über Jahrzehnte Tor zur Stadt - wird dem Erdboden gleichgemacht. Nächstes Jahr, das 165. seines Bestehens, soll mit dem Abriss begonnen werden. Die Deutsche Bahn will hier bis 2024 ein neues modernes Empfangsgebäude errichten (die MZ berichtete).

Eine historische Postkarte: In dem Gebäude links vor dem Bahnhof hatten damals ein Friseur, ein Blumenhändler und der Taxibetrieb Mahler ihre Räumlichkeiten.
Eine historische Postkarte: In dem Gebäude links vor dem Bahnhof hatten damals ein Friseur, ein Blumenhändler und der Taxibetrieb Mahler ihre Räumlichkeiten.
(Repro: André Kehrer)

Möglich wurde das Buchprojekt durch die finanzielle Förderung aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben“

Doch die Erinnerungen an den alten Bahnhof sollen wachgehalten werden. Deshalb hat der Förderkreis Städtepartnerschaften Bitterfeld, dessen Vorsitzender Gülland ist, jetzt ein Buch darüber herausgegeben. „Und ich glaube“, sagt der Vereinschef, „dass viele Menschen darin Ereignisse beschrieben finden, mit denen sie konfrontiert worden sind.“ So wie er selbst, als er später fast ein Vierteljahrhundert lang von hier aus mit dem Zug zur Arbeit nach Leipzig fuhr.

Möglich wurde das Buchprojekt durch die finanzielle Förderung aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben“ - vor allem aber durch Peter Hoffmann, der „Bitterfeld und sein Bahnhof“ geschrieben hat. „Als mich Herr Gülland gefragt hat, ob ich das machen würde, habe ich sofort zugesagt“, erzählt der Friedersdorfer Schriftsteller. Nicht zuletzt deshalb, weil er selbst eine persönliche Beziehung zum Bitterfelder Bahnhof hat. Als junger Mann nämlich war er in den 1970er Jahren als Eisenbahner dort tätig - wenn auch nur wenige Jahre.

Die vorrangige Rolle im Buch sollten Menschen spielen, die etwas mit dem Bahnhof verbindet

Dass es eine große Herausforderung werden würde, dieses Buch in Angriff zu nehmen, wusste der heute 65-Jährige. Schließlich war klar für ihn, dass natürlich die geschichtliche Entwicklung einen wichtigen Platz einnehmen müsste. Aber die vorrangige Rolle sollten Menschen spielen. Leute, die vom Bahnhof aus zur Arbeit oder in den Urlaub fuhren. Die ihr Fahrrad morgens im Fahrradschuppen abstellten oder zum Feierabend in der Mitropa noch ein Glas Bier tranken. Und zu Wort kommen sollten natürlich auch und vor allem ehemalige Eisenbahner - ob sie als Schaffner, Lokführer oder auf Stellwerken tätig waren, Reisende berieten oder die Fahrkarten ausdruckten.

Nicht nur auf der Schiene hatte sich der Bahnhof in einen Verkehrsknotenpunkt entwickelt - auch Busse und Taxis fuhren hier ab.
Nicht nur auf der Schiene hatte sich der Bahnhof in einen Verkehrsknotenpunkt entwickelt - auch Busse und Taxis fuhren hier ab.
(Repro: André Kehrer)

Mit solchen und vielen anderen Zeitzeugen hat Hoffmann gesprochen. Mehrere Monate lang hat er recherchiert und notiert, Quellen und Gesprächspartner ausfindig gemacht, in alten Unterlagen gesucht, Historiker und Chronisten zu Rate gezogen. Für jegliche Unterstützung bedankt er sich. „Denn wenn nicht aufgeschrieben wird, was die Menschen mit dem Bahnhof verbindet, welche Erlebnisse sie hatten und welche Erkenntnisse sie daraus gezogen haben, ist das bald vergessen.“

„Ich habe gespürt, wie wichtig ihnen noch heute die verbliebene Gemeinschaft und Erinnerungen sind“

Und so hat der Autor nahezu alles beleuchtet: von der Einweihung des Bahnhofs 1857 über die Entwicklung des Eisenbahnwesens und die Zeiten der Weltkriege bis hin zu den Außenstellen und Fachbereichen, sozialen Belangen und vielen weiteren Details. Auch das schreckliche Unglück von 1977, als auf einem Bahnsteig der Kessel einer Lok explodierte und mehrere Menschen starben, bleibt nicht unerwähnt. „Weil das gezeigt hat, dass der Eisenbahnerberuf nicht nur einen sicheren Arbeitsplatz bedeutet hat, sondern auch sehr gefährlich war.“ Besonders die Rangierer seien arg betroffen gewesen.

Das Buch lebt von persönlichen Erlebnissen, die Hoffmann erzählt wurden und aus denen er in dem ihm eigenen Schreibstil Geschichten entstehen ließ, die es Freude macht zu lesen. Die schmunzeln lassen oder traurig stimmen, die Erinnerungen wecken und nostalgische Eindrücke hinterlassen. Lebendige Geschichten eben, die ernsthaft Zeitgeschichtliches festhalten, in denen aber auch Humor und Kuriositäten nicht zu kurz kommen. „Dabei ist mir bei den ehemaligen Eisenbahnern bewusst geworden, mit welcher Aufopferung sie ihrer Arbeit nachgegangen sind, Persönliches hinten angestellt haben“, sagt der Autor. „Ich habe gespürt, wie wichtig ihnen noch heute die verbliebene Gemeinschaft und Erinnerungen sind.“

Die ersten Exemplare des Buches wurden direkt vor dem Bahnhof an Zeitzeugen und Unterstützer des Projektes übergeben.
Die ersten Exemplare des Buches wurden direkt vor dem Bahnhof an Zeitzeugen und Unterstützer des Projektes übergeben.
(Foto: Michael Maul)

Frei verkäuflich ist das Buch nicht

Erste Exemplare des Buches, das in einer Auflage von 300 erschien, wurden bereits an Zeitzeugen und Unterstützer des Projektes überreicht. Frei verkäuflich ist es nicht, sondern soll an Vereine und Einrichtungen wie Schulen und Pflegeheime gegeben werden.