Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: «Wir arbeiten hier nicht mit Holz, sondern mit Kindern»
BITTERFELD/MZ. - Von den 192 Kindern, die die Grundschule in Zörbig besuchen, waren am Donnerstag gerade mal 45 Mädchen und Jungen anwesend. "Viele Schüler, die unsere Einrichtung besuchen, wohnen in den Ortschaften rund um die große Stadt Zörbig und sind auf die Schülerbeförderung angewiesen. Da der Busverkehr über Land für zwei Tage eingestellt wurde, kommen die Schüler von den umliegenden Orten nicht ran", setzt Schulleiter Uwe Müller erklärend hinzu. Und deshalb verwundert es nicht, dass die meisten Kinder, die am Donnerstag dennoch den Weg zur Schule fanden, in Zörbig selbst wohnen.
Oliver gehört nicht dazu. Er wohnt in Löbersdorf. "Meine Mutti hat mich mit dem Auto gebracht", sagt der Viertklässler, der der gegenwärtigen Wetterlage nur positive Elemente abgewinnen kann. Auch gegen den "Unterricht" wie gegenwärtig habe er nichts. Denn alles laufe viel lockerer. Und er freut sich schon sichtlich auf die beiden Stunden in der Sporthalle. Da es sich nicht um regulären Sportunterricht handelt, fliegen Schulleiter und Sportlehrer Uwe Müller viele Vorschläge entgegen.
Im Zimmer gleich nebenan wird gebastelt. Drittklässler falten kleine Schächtelchen. "Für Weihnachtsgeschenke", sagt Vanessa, die schon drei Schachteln fertig hat. Und sie weiß auch schon ganz genau, wer eine solche bekommt.
Karen Proske schaut am Donnerstagmorgen nicht schlecht. Eigentlich will die die Schulleiterin der Grundschule in Rösa eine Klassenarbeit in Deutsch schreiben. "Doch von den 15 Schülern der Klasse 4 b haben es gerade einmal zwei in unsere Schule geschafft." Die Einstellung der Überlandlinien merkt man natürlich auch hier, denn die Schüler kommen aus vielen Orten. Ob nun die Kinder aus Schwemsal und Plodda oder Schlaitz und Burgkemnitz - "ein Großteil unserer 103 Schüler ist auf die Busse angewiesen". Dennoch sei etwa die Hälfte da, weil die Eltern Fahrgemeinschaften organisiert haben. Man könne zwar keinen normalen Unterricht machen, aber die Entscheidung, den Schulbusverkehr unter den aktuell vorherrschenden Bedingungen auszusetzen, sei absolut richtig, denn "wir arbeiten hier nicht mit Holz, sondern mit Kindern. Da geht die Sicherheit vor."
Die Linien 406, 407 und 408 sind die einzigen im Altkreis Bitterfeld, die in Abstimmung zwischen Landkreis und Verkehrsunternehmen nicht eingestellt wurden. Wie richtig die Entscheidung war, den Überlandverkehr nicht fahren zu lassen, zeigt ein Vorkommnis vom Mittwochnachmittag. Auf der Linie 439 war zwischen Roitzsch und Brehna ein Bus mit 45 Schülern an Bord im Schnee stecken geblieben. Er konnte zum Glück heraus gezogen werden und weiter fahren.
Dass die Sicherheit an erster Stelle steht, das sieht man auch in Sandersdorf-Brehna so. Die Grundschule der Stadt, die sich in Brehna befindet, ist zwar offen, aber von den insgesamt 156 Schülern sind in diesen Tagen nur wenige da. Einige von ihnen, die aus anderen Ortsteilen kommen, werden von den Eltern per Auto gebracht. Andere, deren Eltern diese Möglichkeit nicht haben, bleiben zu Hause. "Von den Schülern, die sonst mit dem Bus kommen, ist rund ein Viertel da", sagt Dorothea Meißner, Mitarbeiterin der Schulleitung. Die Kinder haben jetzt eine Art spielerischen Unterricht, erklärt sie. Alle Lehrer sind da, so dass die Betreuung der Grundschüler gewährleistet ist. Am Freitag wird die Situation ähnlich sein, denn die Schulbusse bleiben weiter in der Garage.
Auch Eckhard Appenrodt rechnet damit, dass es am Freitag so laufen wird wie am Donnerstag. "Manche Klassen sind vollzählig da, in anderen sitzen nur um die zehn Schüler", sagt der Schulleiter des Bitterfelder Europagymnasiums "Walther Rathenau". Knapp die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen hatten den Weg zur Schule "geschafft". Dazu gehörten natürlich die Bitterfelder selbst und jene, die aus Richtung Greppin und Sandersdorf kamen. "60 Prozent unserer Schüler sind Fahrschüler, die meisten davon sind nicht gekommen", so Appenrodt. Einige jedoch seien von den Eltern gebracht worden, zum Teil auch in Fahrgemeinschaften. Letztlich obliegt den Eltern die Entscheidung darüber, ob sie ihre Kinder zur Schule bringen oder nicht - so sieht es auch das Landesverwaltungsamt. "Schließlich", betont Appenrodt, "haben die Eltern dann ja auch die Verantwortung dafür, dass die Kinder gut wieder nach Hause kommen."
Dass sich jene, die zum Unterricht kommen können, vielleicht ein bisschen ärgern ob des Verzichtes auf ungeplante Ferientage, sieht er recht locker und bezeichnet es als "höhere Gerechtigkeit". Schließlich seien die Fahrschüler sonst immer benachteiligt, wenn es um Freizeit geht.
"Wir freuen uns über jeden, der es geschafft hat, seine Kinder zu uns in die Schule zu bringen", meint Olaf Költzsch. "Das zeigt uns, wie wichtig es ihnen ist, dass die Kinder den Unterricht nicht verpassen", betont der Leiter der Grundschulen von Raguhn und Jeßnitz. Etwa 60 Prozent aller Grundschüler fanden sich in Raguhn zum Unterricht ein. In Jeßnitz waren die Klassen fast komplett. "Dort haben wir kaum Fahrschüler", erläutert Költzsch. In beiden Grundschulen wurde regulärer Unterricht gehalten. Nur Klassenarbeiten seien gestrichen worden. Und noch eines bedauern alle: Das traditionelle Weihnachtskonzert musste von Donnerstag auf Montag verschoben werden.