Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Inneres Seufzen
Bitterfeld/MZ. - Wenn Joachim Gülland in der Burgstraße am Haus mit der Nummer 6 vorbeigeht, seufzt er innerlich. So einzigartig, so viel Geschichte - so schade, geht dem Bitterfelder Ortsbürgermeister dann durch den Kopf. Seit Jahren verfällt das einst stattliche Gebäude, das sich im Jahr 1596 das Stadtoberhaupt Konrad Reuter bauen ließ. Es war eines der ersten aus Stein und ist heute im Ort fast das einzige aus damaliger Zeit - neben der Alten Kapelle und Fürstenherberge. "Wenn nicht bald etwas passiert, ist das Haus nicht mehr zu retten. Es ist jetzt schon stark einsturzgefährdet und außerdem eine Gefahr für die Leute", sagt Gülland. Der Landkreis hat den Eigentümer nun aufgefordert, das leer stehende Haus zu sichern. 2011 hatte die Behörde bereits einen Bauzaun aufstellen lassen.
Sicherung gefordert
"Wir sind seit vielen Jahren mit dem Eigentümer in Kontakt. Dabei ging es immer um Instandsetzung und Sicherungsmaßnahmen", erklärt Udo Pawelczyk, Sprecher des Landkreises. Im aktuellen Schreiben werde angeordnet, das Baudenkmal "fachgerecht zu stabilisieren". Was bisher geschehen sei, reiche nicht aus. Falls bis zum 18. Juni niemand reagiere, "wird der Landkreis zeitnah geeignete Maßnahmen ergreifen. Es ist auch nicht länger hinnehmbar, dass die Einzäunung Anlieger, beispielsweise Gewerbetreibende , behindert." Genauer will sich Pawelczyk mit dem Verweis auf ein laufendes Verfahren nicht äußern.
500 000 Euro kostet eine komplette Sanierung, schätzt Joachim Gülland. Eine Summe, die in nächster Zeit wohl nicht aufgebracht werden kann. "Am wichtigsten ist aber jetzt, dass das Haus gesichert wird, damit es nicht weiter verfällt." Die Fassade bröckelt, die Holzbalken im Fachwerk sind marode, das Dach drückt von oben und der Erker ist nur notdürftig gestützt. "Jeder will, dass das Reuterhaus erhalten bleibt, ich ganz besonders. Es wurden Ende der 60er Jahre zu viel von der Altstadt weggenommen, damit Neubauten entstehen. Dieses Gebäude ist eins mit so viel Geschichte dahinter."
Ende des 16. Jahrhunderts wurde das Renaissance-Bürgerhaus neben dem Halleschen Tor auf der einzigen gepflasterten Straße in Bitterfeld gebaut, die damals Steinweg hieß. Konrad Reuter, er war insgesamt 35 Jahre Bürgermeister, nutzte es als Wohnhaus. Zehn Zimmer hatte es - fünf unten, fünf oben. "Es war eines der markanten großen Gebäude in der Gegend und sehr repräsentativ. Hier wurden auch Leute vom Stand bewirtet. Sie berichteten von gepflegten Gesprächen mit dem Hausherren", erzählt Gülland. "An den Wänden waren schöne Malereien mit biblischen Motiven und Dichtersprüchen zu sehen."
Sprunghafter Verfall
Gülland hat in vielen Unterlagen geblättert und plant auch ein Buch über die Familie zu veröffentlichen. "Konrad Reuter sticht aus der Masse der Bürgermeister heraus. Auch deshalb, weil er einer sehr angesehenen Familie angehörte. Da waren berühmte Leute dabei. Viele schlugen eine Laufbahn als Jurist, Ratsherr oder Geistlicher ein." Der Vater Ambrosius Reuter , damals Bürgermeister und Stadtrichter in Wittenberg, war Ahnherr eines Ratsherrengeschlechts. "Es gab auch eine große Nähe zu Martin Luther: Er war mit Martin Luther befreundet und Vormund seiner Kinder."
Nach Konrad Reuters Tod verliert sich die Spur der Nachkommen, das Haus wechselte die Besitzer. Bis etwa 2005 nutzte der jetzige Eigentümer das Haus, so Gülland. "Es wurde auch einigermaßen gepflegt, aber seit etwa 20 Jahren nicht saniert. Noch bis Ende der 90er war der Bauzustand befriedigend. Seit vor rund zehn Jahren die Dachrinne defekt war und Wasser eingedrungen ist, nimmt der Verfall sprunghaft zu."
Vision für das Reuterhaus
Versuche zur Rettung des Hauses hatte Gülland schon mit dem Verein zur Wiederbelebung historischer Umwelt (Wiederum) unternommen. Sie boten dem Eigentümer in Bitterfeld an, es vorübergehend zu übernehmen. Der Verein hätte Fördermittel beantragt und es nach einer teilweisen Sanierung zurück geben. Bis jetzt: keine Reaktion.
Auch die Stadt Bitterfeld-Wolfen habe sich um das Haus bemüht und ein Gutachten erstellen lassen. "Es ist letztlich Sache des Eigentümers. Und man muss bei allem bedenken: Mit so einer Immobilie ist es eben nicht einfach. Man hat ein altes Haus am Hals, das ist eine große Belastung. Man braucht eine Nutzung, das ist das Schwierigste."
Gülland hat eine Vision: Eigentümer, Verein, Stadt und Landkreis sollten sich zusammensetzen und sich abstimmen. "Wir müssen uns Gedanken über mögliche Konzepte machen. Dann könnte man das Gebäude mit vereinten Kräften wieder so herrichten, dass zumindest die historische Straßenfront erhalten bleibt und ein paar Räume dahinter nutzbar sind. Dafür ist eine breite Unterstützung nötig, auch von Sponsoren." Eine Idee zur Nutzung gibt es bereits: "Die Stadtinformation könnte einziehen. Damit wäre sie auch an Wochenenden geöffnet, wenn Touristen in der Stadt sind." Dass das Haus komplett saniert wird, hält Gülland für unwahrscheinlich. Aber eine Teilsanierung sei denkbar, andere Bereiche müssten lediglich stabilisiert werden. "Das Haus ist es wert, nach Lösungen zu suchen. Aber zuerst ist der Eigentümer in der Pflicht. Er muss sich dann auch zu seinen Vorstellungen äußern."