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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: «Es ist viel passiert in 20 Jahren»

Von SILKE UNGEFROREN 01.07.2011, 16:48

BITTERFELD/MZ. - Manchmal fragt er sich: Ist das wirklich schon so lange her? Denn viele Geschehnisse sind so deutlich in seiner Erinnerung, als wären sie gestern gewesen. Andere wiederum sind verblasst, kommen oft nur zufällig zurück. Wenn davon gesprochen wird oder es einen anderen Anlass dafür gibt. Einen solchen hatte Matthias Latuscynski jetzt, in die Vergangenheit zu blicken. In diesen Tagen nämlich beging er ein Jubiläum: Der 48-Jährige ist Zahnarzt, am 1. Juni 1991 hat er seine eigene Praxis in Bitterfeld eröffnet.

Natürlich schweifen die Gedanken bei solch einer runden Zahl öfter zurück, sagt er. "Und es ist viel passiert in diesen 20 Jahren." Nicht nur beruflich, und nicht nur angenehme Dinge. Dennoch hat er alles, was an Erlebnissen und Begebenheiten auf ihn einströmte, genutzt - positiv vor allem. Nicht aufstecken, das ist seine Devise. Das Beste aus allem herausholen, "denn ändern kann man es ja sowieso nicht". Und wenn man wie er eine Familie an seiner Seite hat und Freunde, Kollegen und Bekannte, dann verleihe das Kräfte, die man vorher nicht geahnt hat in sich.

Ehrgeizig indes war Matthias Latuscynski schon in Kinderzeiten. Dennoch war Zahnarzt nicht sein eigentlicher Berufswunsch. "Ich wollte Mikro- und Gefäßchirurgie studieren", erzählt er. "Doch wir hatten Ärzte in der Familie, und die haben mir das ausgeredet." Er entschied sich für die Zahnmedizin.

Erfahrungen in Poliklinik

1988, noch zu DDR-Zeiten, bekam er seine Approbation, also die staatliche Zulassung als Arzt. Und nach einem halben Jahr wissenschaftlicher Arbeit an der Uni ging er als Assistenzarzt an die damalige Poliklinik nach Wolfen und absolvierte parallel dazu seine Facharzt-Ausbildung.

Doch dann kam die Wende im Land, die zwar auch der junge Latuscynski sehr begrüßte, die ihm aber zumindest beruflich anfangs einige Steine in den Weg legte. "Unsere Promotion fiel quasi den politischen Wirren zum Opfer", sagt er. Mit "uns" meint er einen Kommilitonen, mit dem er vor der Verteidigung der gemeinsamen Doktorarbeit stand. Aber das zu zweit zu absolvieren, war plötzlich nicht mehr möglich. "Und einer allein - das kam nicht in Frage", sagt Latuscynski und fügt an: "Doch davon hängt das Leben nicht ab."

Für Selbstständigkeit entschieden

Als sich dann das Ende der Polikliniken abzeichnete und viele seiner älteren Kollegen sich schon niedergelassen hatten, entschied auch er sich für die Selbstständigkeit. Da war er schon mit seiner Frau Beate verheiratet und mit Richard der erste Sohn geboren.

Nach Anträgen und anderen bürokratischen Notwendigkeiten erhielt er schließlich die Zusage für die Räume in der ersten Etage in der Kirchstraße 17. "Eine hektische Zeit damals", denkt er zurück. "Die Wartezeiten für die Ausstattungen von Zahnarztpraxen waren enorm." Zudem musste er Angestellte finden. Doch es hat alles geklappt. Am 27. Mai 1991 wurde die Einrichtung installiert, schon fünf Tage später der erste Patient behandelt. "Eine sehr arbeitsintensive Zeit, die ersten Jahre", erzählt er. "Manchmal kamen in nur einem Quartal 1 000 Patienten."

Mittlerweile hatte sich die Familie mit Konrad auf vier Personen vergrößert, und alles schien in Butter. Bis der Tag kam, an dem sich das Leben völlig veränderte. Der große Sohn Richard, mittlerweile sechs und kurz vor der Einschulung, erlitt einen Unfall. Seitdem ist er schwerstbehindert und muss rund um die Uhr betreut werden.

Frau Beate gab ihren Beruf auf, der Alltag richtet sich jetzt viel nach dem Großen. "Unser Leben ist etwas ruhiger geworden seitdem", sagt Matthias Latuscynski. "Was nicht heißt, dass wir kein schönes Leben führen." Jährliche Urlaube gehören dazu, Haus und Garten, Treffen mit Freunden. Man hat sich arrangiert. Und im Jahr 2000 ist die Familie mit Nesthäkchen Caspar erneut größer geworden.

"Im gleichen Jahr ist meine Mutter gestorben", sagt Latuscynski, "die mit bei uns im Haus wohnte." Wieder musste etwas verarbeitet werden. Doch auch das sollte nicht der letzte Schicksalsschlag sein. Als zwei Jahre später die Jahrhundertflut kam, stand auch Latuscynskis Haus unter Wasser - der gesamte Keller und das Erdgeschoss fast bis Körperhöhe.

Glück im Unglück war, dass der Familienvater beruflich kurz vorher umgezogen war - er hatte das Haus in der Kirchstraße 1 erworben und eine behindertengerechte Praxis bauen lassen. "Natürlich", sagt er, "unsere Erfahrungen mit Richard waren der Grund dafür." Und nicht nur für die bauliche Barrierefreiheit: Latuscynski hat auch die Voraussetzungen dafür geschaffen, Schwerstbehinderte behandeln zu können.

"Weil wir die Probleme kennen. Man wird sensibler, auch im Umgang mit solchen Menschen. Ich habe den Eindruck, dass man dann noch eher einen Draht zu ihnen findet."

Im Haus der Praxis jedenfalls fand die Familie nach der Flut auch Unterschlupf - zu fünft auf kleinstem Raum und mit dem Großen. Gleichzeitig waren die Umbauten zu Hause zu bewältigen. Erst nach Monaten konnte man wieder zurückkehren, der Keller musste verfüllt, alles neu strukturiert werden.

Keine Frage nach dem Warum

Beate und Matthias Latuscynski sitzen auf der gemütlichen Terrasse vorm Haus, als sie mit der Frage konfrontiert werden: Wie schafft man das alles? "Gute Ergebnisse auf Arbeit bauen mich auf", sagt er und erwähnt seine Spezialisierung auf Wurzelbehandlungen nach einem anderen Konzept. Dann schaut er seine Frau an: "Doch ohne meinen guten Geist würde das alles gar nicht gehen."

Auch sie hat eine Antwort: "Die Frage nach dem Warum darf man sich nie stellen, sonst käme man nicht raus aus dem Fragen." Vorausblicken, nicht aufstecken, das Beste daraus machen eben. Und die Lebensfreude und den Humor nicht verlieren. "Schließlich ist ja jetzt seit neun Jahren nichts wieder passiert. . ."