Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Bezahlt mit weißem Gold
REUDEN/MZ. - Die Herrensitze unserer Heimat lassen sich in unterschiedliche Epochen zurückführen. Einige, wie Cösitz, blühten schon in vorchristlichen Zeiten, andere gibt es quasi erst seit Kurzem. Das Rittergut Reuden beispielsweise. Es entstand durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges und ist damit ein wahrer Jüngling unter den Herrensitzen an Elbe und Mulde.
Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert waren die Schilling die dominierende Adelsfamilie für das kleine Dorf an der Fuhne. Sie saßen auf nahen Gütern in Löberitz oder Zschepkau und verwalteten von hier ihr Hab und Gut. Doch beim Tode des Georg Schilling lagen Schulden auf dessen Besitzungen, dies führt 1596 zum Verkauf von Zschepkau und Reuden an David von Pletz. Der blieb nicht lange Eigentümer, sondern veräußerte alles bereits 1607 weiter. Der neue Herr war Hans von Weissigk, dessen Familie bereits Rittergüter in Mosigkau, Spören und Klein-Weißandt hatte. Als er starb, teilten die Söhne den Besitz.
Gottfried Heinrich erhielt Reuden, sein Bruder Hans Caspar den bestehenden Rittersitz in Zschepkau. Die Teilung war nicht von langer Dauer, schon 1621 zahlte Hans Caspar seinen Bruder aus und vereinte beide Besitzungen. Die Verwaltung erfolgte vom Rittergut in Zschepkau aus. Als dieses im Dreißigjährigen Krieg verwüstet wurde, musste Hans Caspar mit den Seinen 1637 nach Reuden ziehen. Aber ein standesgemäßer Herrensitz fehlte ihnen hier. Es war ein Bauernhof, den sie besaßen und fortan bewohnten, kein Gutshaus, kein Schloss. Noch im Krieg, 1641, starb Hans Caspar. Gut dreißig Jahre blieben seine Kinder an der Fuhne, aber 1673 erreichte sie ein Angebot zum Gütertausch. Die Rittergüter Trossin und Zschortau gegen Zschepkau und Reuden, der Handel galt. Was die Weissigks zum Abschluss dieses Tauschgeschäfts geführt hat, liegt im Verborgenen.
Ihr Gegenüber, Ludwig Erasmus von Ludwiger, hatte seine Wurzeln in Halle. Die Ludwiger zählen zu den kulturhistorisch interessantesten Familien. Interessant, weil sie aus dem Rahmen fallen. Als Geschlecht zwar alt und ehrwürdig, gehören sie dennoch nicht zum alten Adel. Sie waren Mitglieder der Hallenser Pfännerschaft, einer in sich geschlossenen Bruderschaft, über Jahrhunderte am Geschäft mit dem weißen Gold, dem Salz, beteiligt. Die Bedeutung von Salz für unsere Ahnen können wir kaum erahnen. Mühselig war die Gewinnung, lang die Transportwege. Verbrauchen wir heute etwa drei Kilo pro Person, waren es in Mittelalter und Früher Neuzeit dreimal so viel.
Die enorme Menge beruht auf der Funktion als Konservierungsmittel. Um ein Kilogramm Schweinefleisch haltbar zu machen, benötigt man (ohne Gefriertruhe) 100 Gramm Salz, für Fisch gar ein Drittel des Lebendgewichtes. Man schätzt, dass im ausgehenden 16. Jahrhundert in ganz Deutschland etwa 170 000 Tonnen Salz im Jahr verbraucht wurden. Auf so genannten Salzstraßen wurde die kostbare Fracht befördert, der Handel beizeiten besteuert. Wichtigste Route war die Via Salaria, die Alte Salzstraße, die Europa von Norden nach Süden durchzog. Sie verlief von Lübeck an der Ostseeküste über Halle und Prag bis an die Mittelmeerküste Italiens. Eine weitere Route verlief von Halle über Brandenburg nach Pommern. In Salzfurt querte sie die sumpfige Niederung der Fuhne und gab dem Ort seinen Namen.
Heute sind vielerorts die alten Salzstraßen touristisch erschlossen und Grundlage verschiedener Wander- oder Fahrradrouten. Salzgewinnung und Salzhandel brachten Machtfülle und Reichtum, auch für die Ludwiger. Sie stellten über Generationen viele Ratsherren der einst reichen Stadt, das verdiente Geld investierte die Familie auch in den Ankauf verschiedener Rittergüter. 1597 wurde ihrer Stellung endgültig Ausdruck verliehen, als Kaiser Rudolph II. die Ludwiger in den Adelsstand erhob.
Doch für den alten Adel waren die Aufsteiger nicht standesgemäß, eheliche Verbindungen wurden deshalb weiter mit Kindern aus Patrizier- oder Gelehrtenfamilien geschlossen. Erst nach zwei Generationen war der Makel des neuen Adels verflogen. Hatte Ludwig Erasmus von Ludwiger seinen Wohnsitz im wiederaufgebauten Zschepkau genommen, ließ Sohn Johann Caspar ein standesgemäßes Herrenhaus in Reuden bauen. Vorangegangen war ein Gerichtsverfahren, das Bauern des Ortes 1708 verursachten. Sie hatten in den Schenken der Umgebung immer wieder zum Besten gegeben, Johann Caspar von Ludwiger würde gar kein Rittergut in Reuden besitzen, sondern auch nur einen Bauernhof. Seit 1714 kündet deshalb ein stattliches Herrenhaus vom Ehrgeiz, ein Rittergut und keinen Bauernhof sein Eigen zu nennen.
Markant liegt es am nordöstlichen Dorfrand, das zweigeschossige breite Gutshaus. Es ist durchaus beeindruckend und spiegelt mit seiner Architektursprache den repräsentativen Anspruch des Johann Caspar wider. Im Mansardwalmdach finden sich Fledermausgaupen, an der hofseitigen Fassade zog man drei Fensterachsen hervor und setzte mittig eine Freitreppe davor, rechts und links flankiert von Bäumen. Zusätzlich wurden Stallungen und Scheunen auf dem Gutshof errichtet. Im gleichen Jahr, 1714, wurde die Kirche erweitert und mit Patronatsloge und Erbbegräbnis versehen, Reuden wurde für die Ludwigers zum Familiensitz.
1886 verkaufte die Familie ihren Besitz an den Kommerzienrat Adolf Lange aus Jeßnitz, einen Papierfabrikanten, dessen Wirken Reuden aufblühen ließ. Auch das Inspektorenhaus aus dem späten 19. Jahrhundert, ein etwas zurückgesetzter niedriger Anbau am Herrenhaus, entstand wohl unter Lange. Ziergiebel und Dachgaupen ließ er mit einigen Elementen des Neurokoko verzieren. Seine Erben machten das Rittergut 1927 zu Geld, als sie es an die I.G. Farben verkauften. Während der Bodenreform wurde die I.G. Farben enteignet und die Fläche des Reudener Rittergutes zwölf Neubauern zugeteilt.
Die 1954 entstehende LPG wurde nach 1990 aufgelöst, die hier betriebene Nerzfarm geschlossen. Wer sich heute dem Herrenhaus nähert, erblickt neue Verzierungen. Denn eine Fülle von Kunstblumen findet sich an fast allen Fenstern, kleine weiße Kunststoffschönheiten empfangen auf der barocken Treppe. Der neue Besitzer habe sie aufgestellt, so ein Nachbar, und meint weiter, er hätte doch erst einmal das kaputte Dach reparieren sollen.
Nach der politischen Wende privatisiert, wechselte das Herrenhaus vor einiger Zeit noch einmal den Besitzer. Auf einer Auktion war es für 3 000 Euro im Angebot. Was der neue Besitzer, ein Herr aus Berlin, eigentlich vorhat, darüber gibt es im Dorf viele Spekulationen.
Martin Bethmann aus Reuden hat sich mit den Ludwigers beschäftigt, einen Nachfahren ausfindig gemacht und ihn ins Dorf an der Fuhne geholt. Zwar zeigte man sich interessiert, doch allein, es fehlten die Mittel. Man sei so etwas wie verarmter Landadel. Und so bleibt leider die Zukunft des Herrenhauses offen.