Von Abschiebung bedroht Von Abschiebung bedroht: Ukrainerin hat Angst vor der Heimat

bernburg/MZ - Mit einem herzlichen Lachen quietscht die kleine Eva vergnügt auf ihrem pinkfarbenen Dreirad, das ihr die Eltern vor wenigen Tagen zum 2. Geburtstag geschenkt haben. Das schicke Kinderspielzeug aus Plastik ist so ziemlich das einzige Neue hier oben im Wohnzimmer des Plattenbaus Vor dem Nienburger Tor. Tatiana und Vadym Pliushko haben sich ihr 62 Quadratmeter großes Reich im fünften Stock vorwiegend mit gut erhaltenen Second-Hand-Möbeln eingerichtet. Denn das junge Paar, das gemeinsam an der Hochschule Anhalt in Strenzfeld Agrar- und Ernährungswissenschaft studiert hatte, möchte nicht vergeblich in eine Heimstatt investieren, die sie nach jetzigem Stand schon in zwei Monaten verlassen müssen. Der 26-jährigen Familienmutter droht die Ausweisung aus Deutschland.
Hunderte Bewerbungen
Am 31. März läuft ihr so genannter Aufenthaltstitel ab - weil sie bislang keine qualifizierte Arbeit in ihrer Wahl-Heimat gefunden hat. Trotz hunderter Bewerbungen, die sie seit knapp zwei Jahren in den gesamten deutschsprachigen Raum verschickt hat. Im Durchschnitt zehn pro Woche. „Nicht mal eine einzige Einladung zu einem Vorstellungsgespräch habe ich erhalten“, sagt Tatiana Pliushko traurig. Woran es liegt, darüber kann die hübsche Ukrainerin nur spekulieren. „Wegen meiner Schwangerschaft konnte ich kein Betriebspraktikum absolvieren und mich spezialisieren“, nennt sie einen möglichen Grund. Ein anderer könnte sein, dass sich Arbeitgeber scheuen, eine Mutter mit Kleinkind einzustellen. Vielleicht sei aber auch ihre Abschlussnote schuld: 2,7. „Es war anfangs aufgrund der Sprache sehr schwierig für mich, den Vorlesungen zu folgen“, gibt die 26-Jährige zu - inzwischen in hervorragendem Deutsch, das sie ebenso fließend beherrscht wie Englisch, Ukrainisch und Russisch. Einen Job bei einem exportorientierten Unternehmen würde sie deshalb ebenso gern annehmen wie Arbeit in der Ernährungs- und Landwirtschaftsbranche. Jeden Vormittag durchforstet sie stundenlang das Internet nach Angeboten, wenn ihre Eva in der Kita „Marienkäfer“ betreut wird. Bisher vergeblich.
Amors Pfeil trifft auf dem Campus
Die aus Dnepropetrowsk stammende Frau war nach ihrem Masterstudium an der Agraruniversität Kiew und dem Erlernen der deutschen Sprache am dortigen Goethe-Institut im Jahr 2008 nach Bernburg gekommen, um das duale Studium hier abzuschließen. Auf dem Campus lernte sie ihren Landsmann Vadym kennen, zwei Jahre später heirateten beide. „Als ich schwanger wurde, konnte ich nicht im Wohnheim bleiben“, erzählt Tatiana Pliushko. Das Paar mietete sich im Plattenbau direkt am Saale-Ufer eine Wohnung - mit herrlichem Blick über den Fluss auf den Stadtpark Alte Bibel. Im Januar 2012 machte die Geburt von Tochter Eva das Familienglück perfekt.
Zwei Monate darauf schloss Tatiana das Studium ab. Und begann wie ihr Mann mit der Arbeitssuche. Erfolglos. Der 30-jährige Vadym verdingte sich notgedrungen in Polen als Bauarbeiter, um Lebensunterhalt, Miete und Kita-Platz bezahlen zu können. Denn vom deutschen Staat erhält die junge Familie keinen Cent und will es auch nicht. Die Pliushkos wollen sich aus eigener Kraft eine Zukunft aufbauen. „Wir sind beide fleißig“, beteuert die Akademikerin, die ihren Ehemann nur selten sieht. Mit einem polnischen Visum ausgestattet, darf er sich als Ausländer nur drei Monate pro Jahr in Deutschland aufhalten. Die aufgeweckte Eva muss weitgehend ohne den Papa aufwachsen.
„Es tut mir so leid, dass die Familie durch die komplizierten Ausländergesetze auseinandergerissen wird“, sagt Nachbarin Julia Kielhorn, die sich mit den Pliushkos richtig angefreundet hat - und wie eine Löwin für deren Verbleib in Deutschland kämpft. „Ich habe Tatiana und Vadym als ehrliche und freundliche Leute kennen gelernt“, sagt die 27-jährige Kosmetikerin. In der vergangenen Woche bat sie Bernburgs Dezernenten Holger Dittrich um Hilfe. Er vermittelte für die Ukrainer ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister. „Wir suchen solche Leute und haben ein Interesse daran, dass sie hierbleiben“, verdeutlicht Henry Schütze, dass gut ausgebildete Fachkräfte die Stadt nur bereichern können. Die Pliushkos hätten einen engagierten Eindruck gemacht, er werde ihnen nach Kräften helfen, einen Job in der Region zu finden.
Grassierende Korruption
Dass der Oberbürgermeister „solche normalen Menschen wie uns empfängt“, wäre in ihrer Heimat undenkbar, sagt Tatiana Pliushko. Voller Sorge beobachtet sie täglich im Internet die sich zuspitzende Situation in der Ukraine, die möglicherweise vor einem Bürgerkrieg steht. Dies sei auch der Grund, warum sie nicht zurückkehren will - aus Angst um ihre Tochter. „Es ist jetzt nicht die richtige Zeit, um sich dort etwas aufzubauen“, sagt die 26-Jährige.
Ihre gesamte Familie sei gegen die „korrupte Regierung, die nur das Ziel hat, das Geld von den Menschen zu stehlen.“ In der Ukraine gebe es keine Mittelklasse. „Arme werden noch ärmer, Reiche noch reicher“, eine Krankenhausbehandlung sei von Schmiergeldern abhängig, Gesetze stünden nur auf dem Papier. „Ich wünsche mir mehr Gerechtigkeit und Menschlichkeit und dass sich die Ukraine nach Europa orientiert.“ Sie ist überzeugt, dass der Großteil ihres Volkes so denkt. Auch ihre Verwandten stünden nach der Arbeit in Kiew und Dnepropetrowsk täglich auf der Straße, um zu protestieren.
Unterschriftenaktion geplant
„Das ist kein Umfeld für eine Zweijährige“, meint Julia Kielhorn, für deren Engagement Tatiana Pliushko dankbar ist: „Es ist sehr angenehm, solch eine Freundin zu haben.“ Auch wenn die Deutsche, die bei einem Facebook-Hilfsaufruf auf Ressentiments gegenüber den Ukrainern gestoßen ist, will sie sich weiter für sie einsetzen und eine Unterschriftenaktion starten. Mit dem Ziel, dass ihrer Freundin eine Gnadenfrist eingeräumt wird. „Ich appelliere an die Vernunft und das Mitgefühl der Bernburger. Uns läuft die Zeit davon. Wir wollen einen Aufschub, bis Tatiana Arbeit gefunden hat.“