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Suche nach der Wahrheit Suche nach der Wahrheit: 22-Jähriger bestreitet vehement die Vorwürfe

Von Torsten Adam 06.06.2020, 07:56
Hat ein Güstener den Neffen seiner Freundin missbraucht? Das Landgericht geht diesen Vorwürfen derzeit nach.
Hat ein Güstener den Neffen seiner Freundin missbraucht? Das Landgericht geht diesen Vorwürfen derzeit nach. Dpa

Güsten/Magdeburg - Jedes Jahr werden in Deutschland rund 15.000 Kinder als Opfer sexueller Gewalt von der Polizei erfasst, die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Ist im Januar 2019 auch in Güsten ein sechsjähriger Junge vom Freund seiner Tante missbraucht worden? Eine Antwort auf diese Frage wird seit Donnerstag von der Jugendschutzkammer am Magdeburger Landgericht gesucht.

Egal wie sie ausfällt: Die betroffene Familie hat sich durch die schweren Anschuldigungen bereits entzweit. Die Mutter des mutmaßlichen Opfers und die Freundin des Tatverdächtigen sind Schwestern, sie haben den Kontakt zueinander abgebrochen. Ihre Eltern verhalten sich neutral.

Lockangebot mit Playstation an den Jungen?

Angeklagt ist ein heute 22-jähriger Güstener. Ihm wird vorgeworfen, während eines Wochenendes, das er im Haus der Eltern seiner neuen Lebenspartnerin verbrachte, sich an deren Neffen vergangen zu haben. Laut der von Staatsanwalt Thomas Prager verlesenen Anklageschrift soll der junge Mann an einem Abend dem Kind die Jogginghose runtergezogen haben, seinen Penis gedrückt und geküsst haben.

Morgens soll der Beschuldigte dann das Geschlechtsteil des Jungen gestreichelt haben - als Voraussetzung dafür, ihn auf der Playstation das bei Kindern sehr populäre „Minecraft“ spielen zu lassen.

Beide Male war die Freundin des Angeklagten nicht in der Dachgeschoss-Wohnung zugegen, wo sich die Übergriffe ereignet haben könnten.

„Diese Ereignisse sind nicht passiert, das schließe ich vollkommen aus“

Der 22-Jährige, der im polizeilichen Ermittlungsverfahren geschwiegen hatte, ist vor Gericht zu einer Aussage bereit. „Diese Ereignisse sind nicht passiert, das schließe ich vollkommen aus“, beteuert er. „Ich habe oft überlegt, wie der Junge darauf gekommen sein kann, bin aber zu keinem Ergebnis gekommen.“ Zu dem Sechsjährigen habe er bis dato ein gutes Verhältnis gehabt: „Ich hatte den Eindruck, dass er mich mag.“

Das mutmaßliche Opfer, das mit seinen Eltern und der älteren Schwester in Magdeburg lebt, hatte schon des öfteren die Wochenenden bei den Großeltern in Güsten verbracht. Zum ersten und letzten Mal übernachtete der Sechsjährige aber vom 18. bis 20. Januar 2019 bei seiner Tante und ihrem Freund unterm Dach.

Sechsjähriger vertraut sich seiner Mutter an

Die angeblichen Taten wurden noch an jenem Sonntag ruchbar, als er sich daheim seiner Mutter anvertraute. „Er sagte mir, dass er an seinem Schnippi angefasst wurde. Ich schenkte dem Ganzen anfangs erst nicht so viel Glauben, bohrte dann aber nach“, schildert die Frau mit tränenerstickter Stimme im Zeugenstand das damalige Gespräch mit ihrem Sohn.

Als ihr gewahr wurde, dass die Geschichte doch nicht nur der Fantasie des Jungen entspringen könnte, seien ihr alle Synapsen durchgeknallt. „Ich habe meine Mutter am Telefon angeschrien, was da los war, auch weil es im Jahr 2016 schon einen sexuellen Übergriff auf unsere Tochter gegeben hatte.“

Der Sechsjährige habe ihr anschließend noch einmal das Geschehene genauer geschildert. „So wie es in der Anklage steht. Ich erklärte ihm die Tragweite seiner Darstellung, und sagte ihm, dass es nicht schlimm sei, wenn es doch nicht so war. Aber er blieb bei seiner Aussage.“ Auch der Vater fragte mehrfach nach, um sicher zu gehen, dass es keine Hirngespinste sind. „Beim fünften Mal glaubt man seinem Jungen“, sagt er vor Gericht aus.

Keine Klärung am selben Tag

Die Eltern drängten auf eine sofortige Klärung, vertrauten den Jungen seiner Schwester an, fuhren nach Güsten zurück und stellten den Schwager in spe zur Rede. „Er ließ uns ausreden, wirkte sehr ruhig und sagte, dass er sich nicht vorstellen könne, warum unser Kind lügt“, erinnert sich die Mutter an die Diskussion, die mit ihrer Ankündigung endet, zur Polizei zu gehen.

Der Tatverdächtige entgegnete daraufhin, dass sie das ruhig tun sollen, weil dann die Wahrheit ans Licht komme. Zuvor hatte der damals in Scheidung lebende Mann der Familie seiner neuen Freundin mitgeteilt, dass er selbst als Kind beinahe Opfer sexuellen Missbrauchs geworden wäre.

„Ich wurde in den Wald geführt, mir wurde die Hose runtergezogen, doch ich konnte weglaufen.“ Auch sein Bruder sei vor ein paar Jahren als Kinderschänder verdächtigt, dann aber mangels Beweisen freigesprochen worden. Er habe trotzdem den Kontakt abgebrochen, weil er solche Taten ekelhaft finde.

Die Tante des Opfers lässt vor Gericht das Wochenende noch einmal Revue passieren, kann sich aber nicht erinnern, ihren Neffen und ihren Partner morgens - wie vorgeworfen - allein gelassen zu haben. Nur zweimal habe sie sich entfernt: einmal am späten Samstagnachmittag, um noch Kartoffeln einzukaufen, dann am Sonntagnachmittag, um im Büro stundenlang Bewerbungen zu schreiben.

„Er schilderte frei und zusammenhängend, war sehr redegewandt für sein Alter“

Am folgenden Montag nahm der Vater seinen Jungen mit zur Polizei. Der Beamtin, die die Strafanzeige entgegennahm, zeigte der Sechsjährige an einem Stift, wie er vom Freund seiner Tante angefasst worden sein soll, ebenso der Polizistin, die ihn im Beisein seiner Mutter ein zweites Mal vernahm. „Er war anfangs schüchtern. Ich gab ihm was zum Spielen, dann kamen wir ins Gespräch. Er schilderte frei und zusammenhängend, war sehr redegewandt für sein Alter“, gibt die Beamtin vor Gericht zu Protokoll.

Der Junge habe sich geschämt, dem Körperkontakt damals zuzustimmen, nur weil er so gern „Minecraft“ spielen wollte. Auch habe ihm der Angeklagte verboten, irgend jemanden etwas davon zu erzählen.

Weil der Beschuldigte nach der Vernehmung aller fünf geladenen Zeugen die Taten weiter bestreitet, soll laut Richterin Anne-Marie Seydell das mutmaßliche Opfer am Montag vor Gericht selbst aussagen. (mz)