Salzlandkreis Salzlandkreis: Bewegte Geschichte eines Hauses
BERNBURG/MZ. - Von außen sieht man dem Gebäude an der Ecke Platz der Jugend / Mittelstraße die wechselvolle Geschichte und die früheren Nutzungen nicht an. Ein großer Saal mit angedeuteter Bühne und langen, balkonähnlichen Sitzreihen im Inneren lässt jedoch bereits erahnen, dass eine Beschäftigung mit der Geschichte und den Geschichten des Hauses Interessantes zutage fördern könnte.
Das dachte sich auch Lutz Döbler, als er vor knapp drei Jahren im Rahmen einer Arbeitsmaßnahme ein Büro im hinteren Teil des Gebäudes bezog. "Es war ein komischer Zufall", berichtet Döbler, wie er dazu kam, sich genauer mit dem Haus zu beschäftigen. Ursprünglich wollte der regional-historisch sehr interessierte 56-Jährige etwas über Bunkeranlagen in Bernburg machen, was sich aber als nicht durchführbar erwies.
Als eine Kollegin ihm sagte, dass es schön wäre, mehr über das Haus, in dem sie arbeiten, zu wissen, war seine Neugier geweckt. Er nahm sich der Vergangenheit des Gebäudes an. Die Neugier steigerte sich noch, als er von der "Legende" hörte, der Gründungsparteitag der SPD-Anhalt hätte 1890 in diesen Räumen stattgefunden. Tatsächlich wurde dieser jedoch in Halle abgehalten.
Die Nachforschungen des Freizeit-Historikers begannen im Internet, später verbrachte er viel Zeit im Stadtarchiv. Die Recherche ergab, dass bereits auf einem Stadtplan von 1860 - dem ersten von der Stadtverwaltung in Auftrag gegebenen Lageplan des Ortes an der Saale - eine Bebauung an der heutigen Stelle des Gebäudes eingezeichnet ist. Döbler vermutet, dass das Haus in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts gebaut wurde. Der genaue Zeitpunkt war nicht zu ermitteln, da das erste Grundbuch für dieses Objekt erst 1876 angelegt wurde und auch in Kirchenbüchern keine Einträge hierüber zu finden waren.
Vermutlich von Beginn an war das Gebäude eine Gastwirtschaft, möglicherweise bis 1871 der "Gebhardt'sche Gasthof" und anschließend bis 1890 die "Central-Halle". Neben der Gaststätte gab es hier im so genannten Wilhelm-Theater auch regelmäßige Schauspiel-Aufführungen, da das Bernburger Theater in dieser Zeit keinen regelmäßigen Spielplan hatte. Auch Karnevalsveranstaltungen und Maskenbälle fanden hier statt. In dieser Zeit blühte das Geschäft und aufgrund der hohen Zuschauerzahlen wurde das Haus mehrfach baulich erweitert.
1891 erwarb der Gastwirt Carl Mey die Immobilie und eröffnete mit dem "Hofjäger Theater Bernburg" das "Erste Spezialitäten-Theater Anhalts", in dessen Varieté-Programm Künstler aus den unterschiedlichsten Regionen des Deutschen Kaiserreiches auftraten. "Viele Größen der damaligen Zeit waren hier", hebt Döbler die kulturelle Bedeutung des "Hofjägers" hervor. Auf alten Ansichtskarten ist zu sehen, dass im heutigen Hof des Gebäudes ein Biergarten mit schattigen Plätzen unter hohen Bäumen angelegt war. "Das war sicherlich eine schöne Ecke damals", meint der studierte Ökonom und ehemalige Abteilungsleiter der Bernburger Zuckerfabrik mit Blick auf die idyllischen Aufnahmen.
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges bedeutete das Ende für das Varieté, an dessen Stelle ein Lazarett durch die Freimaurerloge eingerichtet wurde. 1916 wurde das Haus an Heinrich Weyrich verkauft, der die Gaststätte weiter führte und in den zwanziger Jahren mit den "Hofjäger-Kammerlichtspielen" ein Kino in den Räumlichkeiten des Gebäudes etablierte.
Bereits 1937 war jedoch im wahrsten Sinne des Wortes "Schluss mit lustig": die Stadt wird Eigentümer des Hauses und baut es in ein Heim der Hitlerjugend um, womit erstmals seit der Errichtung eine andere Nutzung als die gastgewerbliche besteht. Das Heim hieß übrigens "Haus der Jugend", der Name des hiernach benannten Platzes hat sich bis heute gehalten. Hobby-Historiker Döbler vermutet, dass die jetzige Innenarchitektur aus massivem Holz aus dieser dunklen NS-Zeit stammt. Fest steht, dass ab 1939 erneut ein Lazarett eingerichtet wurde, welches bis zum Ende des Krieges bestand.
In den Anfangsjahren der DDR zog die land- und hauswirtschaftliche Berufsschule "Professor Hellriegel" ein, bevor sie 1964 durch die Betriebsschule des Bau- und Montagekombinates Chemie Halle ersetzt wurde. Bis zur Wende wurden hier Bauhandwerker ausgebildet. Noch heute ist an einem Fenstergitter das Logo "BMK Betriebs- BS" zu sehen. Auf eine kurzzeitige Mischnutzung, beispielsweise durch eine Fahrschule, folgte 1992 der Einzug der "Bernburger Bildungs- und Strukturförderungsgesellschaft" (BBS), die bis heute hier ihren Sitz hat und Arbeitsmarktmaßnahmen umsetzt.
Für das Zusammentragen dieser Fülle an Informationen hat Döbler etwa ein Jahr recherchiert und seine Freizeit in mehreren Archiven verbracht. Denn eigentlich ist er in seiner in Kürze auslaufenden Arbeitsmaßnahme bei der BBS mit der Erforschung und Sicherung alter Vereine des Altkreises Bernburg beschäftigt. Immerhin auch eine Aufgabe, die seiner Leidenschaft für regional-historische Themen entgegen kommt.