Landgericht Magdeburg Landgericht Magdeburg : Oberamtsrat geht aufs Ganze

Nienburg/Magdeburg - Seit mittlerweile fast vier Jahren ist Lutz Mittelstraß von seiner Funktion als Ordnungsamtsleiter der Einheitsgemeinde Nienburg suspendiert, erhält seitdem reduzierten Sold. Und an diesem Status wird sich so schnell nichts ändern, denn die straf- und disziplinarrechtliche Aufarbeitung der mutmaßlichen Vergehen des 55-Jährigen wird sich wahrscheinlich bis ins nächste Jahr ziehen. Das Amtsgericht Magdeburg hatte den Oberamtsrat zwar im Oktober 2015 wegen Untreue in den Jahren 2008/09 zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 80 Euro (9 600 Euro) verurteilt.
Mögliche personalrechtliche Konsequenzen
Doch dagegen legte er im Gegensatz zu seinem ehemaligen Chef Dieter Symalla Berufung ein. Obwohl durch das Strafmaß sein Beamtenstatus nicht in Gefahr geraten ist, würde der Spitzenbeamte als vorbestraft gelten - mit möglichen personalrechtlichen Konsequenzen. Diese waren auch ausschlaggebend, weshalb der Berufungsprozess am Dienstag am Landgericht Magdeburg schon nach dem ersten Verhandlungstag ausgesetzt und erst wieder ab dem 3. November aufgerollt wird. Denn der Vorsitzende Richter Gerhard Köneke geht nunmehr davon aus, dass eine umfangreiche Zeugenvernehmung und mindestens fünf Prozesstage erforderlich sein werden. Dann soll unter anderem Landrat Markus Bauer, nach Auflösung der Verwaltungsgemeinschaft Bürgermeister in Nienburg, gehört werden. Wegen der Urlaubszeit und der Vorschrift der Strafprozessordnung, dass zwischen den Verhandlungen höchstens drei Wochen liegen dürfen, ließ sich eine Neuaufnahme erst im Spätherbst nicht vermeiden.
Urteil hätte bereits fallen können
Dabei hätte durchaus schon am Dienstag ein rechtskräftiges Urteil fallen können. Der Richter hatte Lutz Mittelstraß dies aus ökonomischen Gründen angeboten, verbunden mit einer Reduzierung des Strafmaßes. Aber Johann Christoph Schaar, der neue Anwalt des Beschuldigten, lehnte dies ab: „Das wäre für meinen Mandanten ein Eingeständnis der Untreue.“ Daraus könnten sich negative Folgen für das derzeit ruhende Disziplinarverfahren ergeben, das seitens der Stadt Nienburg erst nach Abschluss der strafrechtlichen Sachverhalte wieder aufgenommen werden soll.
Der 55-Jährige setzt also auf einen Freispruch. Ob es dazu kommt, ist jedoch mehr als zweifelhaft. Die Staatsanwältin stellte auf Nachfrage des Verteidigers unmissverständlich klar, dass sich Lutz Mittelstraß der Untreue schuldig gemacht hat. „Das ist für mich auch kein Grenzfall“, teilte sie dessen Rechtsanwalt während der Beratungspause mit. Die Äußerungen von Richter Gerhard Köneke deuteten ebenfalls nicht darauf hin, dass er der Verteidigungsstrategie des Angeklagten folgen könnte. Natürlich vorausgesetzt, die Zeugenvernehmung ergibt keine gravierend neuen Erkenntnisse.
Lutz Mittelstraß räumte ein, dass es zu den rechtswidrigen Auszahlungen so gekommen war wie angeklagt: So hatte Dieter Symalla, bis zur Pensionierung im September 2009 Leiter der Verwaltungsgemeinschaft (VG), und sein Nachfolger Lutz Mittelstraß - in den folgenden vier Monaten bis zur Auflösung der VG - veranlasst, dass elf Beamte ein Leistungsentgelt von insgesamt 9712 Euro für ihre Dienste in den Jahren 2007 bis 2009 bekamen. Darunter sie selbst. Eine solche Vergütung ist jedoch verboten. Darüber hinaus wies Mittelstraß rechtswidrig an, dass die im Jahr 2009 nicht genommenen Urlaubstage vollständig ausbezahlt werden - für sich mehr als 5100 Euro. Eine Summe, die er mittlerweile zurückgezahlt hat.
„Sie sind ja Beamter geblieben“
Für den ersten Fall argumentierte der Angeklagte: „Ich bin nicht derjenige, der die Entscheidung getroffen hat“, schob er die Verantwortung seinem Vorgesetzten zu. Und es sei für ihn nicht erkennbar gewesen, dass die ihm zur Unterschrift vorgelegten Auszahlungsanordnungen falsch waren, nachdem er die VG-Leiter-Stelle in Folge von Symallas Pensionierung kommissarisch übernommen hatte. „Es gab für mich keinen Grund, das zu hinterfragen. Im Nachhinein war es sehr dumm, sich das nicht erklären zu lassen.“ Bezüglich der von ihm veranlassten Urlaubsabgeltung berief sich der 55-Jährige darauf, nicht gewusst zu haben, ob er seinen Resturlaub unter dem neuen Dienstherrn hätte nehmen können. Eine Behauptung, die für den Richter nicht glaubwürdig erschien: „Sie sind ja Beamter geblieben.“ Und als solcher, insbesondere als Leiter einer Behörde, sollte man sich schon mit den Grundsätzen der Besoldung auskennen, machte Gerhard Köneke deutlich, dass Unwissenheit nicht vor Strafe schützt. Genauso merkwürdig sei nach seinem Verständnis, dass alle Beamten eine Leistungszulage bekommen hatten. Nur für Angestellte zulässig, sollte sie eigentlich nur an jene Beschäftigten ausgezahlt werden, die eine besonders schwere Tätigkeit verrichten. (mz)