Kabarett im Bernburger Theater Kabarett im Bernburger Theater: Leipziger "Academixer" parodieren sächsische Kleinstadt

Bernburg - „Robinson Grützke“ ist ein gewagtes Stück, das die „Academixer“ am Freitagabend auf die Bühne des Bernburger Theaters bringen - eine bittersüße Parodie auf die sächsische Kleinstadt Borna, aufgeführt in einer Kleinstadt. Um es vorweg zu sagen: Das Experiment ist gelungen. Nach zwei Stunden herzerfrischenden Kabaretts mit Pointen am laufenden Band und vielen gesellschaftspolitischen Seitenhieben abseits des eigentlichen Handlungs-strangs verabschiedete das Publikum im fast ausverkauften Saal die drei Protagonisten mit tosendem Applaus. Denen bleibt gar nichts anderes übrig, als zu versprechen, nächstes Jahr wiederzukommen.
Ehepaar Grütze über Urlaubsreisen
Das von Matthias Tretter erdachte und inszenierte Stück „Robinson Grützke“ könnte ebenso in anderen trostlosen Kleinstädten der ostdeutschen Provinz spielen, beispielsweise in Aschersleben, wie Oskar Grützke (dargestellt von Ralf Bärwolff) feststellt. Seine Frau Astrid (Carolin Fischer) will unbedingt in den Urlaub - nach Borneo, Orang Utans im Regenwald beobachten. Die Affen gibt’s zwar auch im Leipziger Zoo zu bestaunen, doch seine Herzdame lässt sich nicht beirren, zumal sie ein echtes Reiseschnäppchen im Internet an Land zieht: Zwei Wochen Südostasien für 1499 Euro all inclusive.
Wenn es was Billiges zu ergattern gibt, ist Frau Grützke eben zur Stelle. Wäre sie sonst mit Oskar verheiratet? Ihr Gatte wird zuerst stutzig: Anreise mit dem Regionalexpress? Beim Prüfen der Reiseunterlagen entpuppt sich Borneo als Borna, mitten im Ex-Braunkohlerevier. Naja, immerhin braucht Oskar dafür keine Impfungen. Und Tagesausflüge lassen sich von dort sicher auch unternehmen. Zum Beispiel in den Leipziger Zoo - zum Orang Utan.
Anreise mit Hindernissen
Die Anreise verläuft - natürlich - mit Hindernissen: eine satte Zugverspätung wegen Notarzt-Einsatzes. „Mir wäre ja Selbstmord mit der Deutschen Bahn zu unsicher. Da gibt’s einen Stellwerkschaden und dann kann’ste nur hoffen, zu erfrieren“, philosophiert Oskar.
1966 von Studenten in Leipzig gegründet, feiern die „Academixer“ in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Mitte der 70er Jahre wandelte sich die Gruppe zu einem Berufskabarett, das vor allem in Ostdeutschland sehr bekannt ist. Seit 1980 ist der Keller des ehemaligen Messehauses „Dresdner Hof“ (heute Seniorenresidenz) an der Kupfergasse ihre Spielstätte. Das Ensemble besteht derzeit aus zwölf Darstellern und sieben Musikern. Acht Prota-gonisten teilen sich die Regie für ein Dutzend verschiedener Programme, darunter auch „Robinson Grützke“.
Szenenwechsel: Heidi Klumska (ebenfalls von Carolin Fischer gespielt), dralle Gastarbeiterin aus Polen und in Borna die Frau für alle Fälle, nimmt als Hotelrezeptionistin einen Anruf der Grützkes entgegen. Als sie erfahren, dass es vom Bahnhof zur Unterkunft nur 300 Meter sind, will das Paar lieber laufen, als von einer Pferdekutsche abgeholt zu werden. „Laufen? Durch Borna? Nein, das ist nicht gefährlich. Aber die meisten unserer Gäste kriegen trotzdem Angst“, spricht Heidi warnend ins Telefon. Derweil sinniert ihr Chef, der Bürgermeister (ebenfalls Ralf Bärwolff) über die guten alten Zeiten - damals, als alle auf Koks waren und noch reichlich Asche hatten... Und heute? Die Deponie mit aus Neapel importiertem Müll ist die einzige Erlösquelle. Dass dabei ein italienischer Staatsanwalt - gespielt von Enrico Wirth, der den Abend auch als Pianist musikalisch begleitet - gleich mit unsachgemäß entsorgt wird, kann schon mal vorkommen.
Kleinstadt wird am Ende zur Heimat
Ende gut, alles gut: Das Pärchen aus Leipzig gewöhnt sich schließlich an die Kleinstadt-Idylle, findet in Borna sogar Arbeit: er als Kultur-Bürgermeister, sie als Marketingbeauftragte. Und Astrid Grützke hat Visionen: „Müllantis - eine Event-Ausgrabungsstätte, in der nach römischen Schätzen gebuddelt werden kann.“
Bevor die drei „Academixer“ gemeinsam mit ihrem Publikum zum Abschied den „Karat“-Hit „Über sieben Brücken“ intonieren, bedankt sich der Großstädter Ralf Bärwolff spitzzüngig für den warmen Applaus „der Hälfte der Bernburger Bevölkerung.“ (mz)