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Investitionen in Bernburg sind in Gefahr Investitionen in Bernburg sind in Gefahr: Holger Dittrich: Wir haben die Schnauze voll

Von Torsten Adam 25.04.2017, 09:55
Bernburgs Wirtschaftsdezernent Holger Dittrich fotografiert die Alte Kanzlei an der Breiten Straße, die noch immer ihrer Restaurierung harrt.
Bernburgs Wirtschaftsdezernent Holger Dittrich fotografiert die Alte Kanzlei an der Breiten Straße, die noch immer ihrer Restaurierung harrt. Engelbert Pülicher

Bernburg - „Wir haben die Schnauze voll!“: Wirtschaftsdezernent Holger Dittrich ist keiner, der um den heißen Brei herumredet. Dass er dennoch bei der Bauausschuss-Sitzung solch sogar für ihn drastischen Worte fand, ist Ausdruck des Ohnmachtsgefühls der Bernburger Stadtverwaltung im Kampf um ein besseres Stadtbild.

Der Gegner: das strenge Denkmalschutzgesetz Sachsen-Anhalts und die Behörden beim Salzlandkreis und Land, die darüber wachen.

„Wir sind als Verwaltung nicht mehr gewillt, das länger hinzunehmen“, stellt Dittrich klar.

Hilferuf stößt auf offenen Ohren

Der Hilferuf aus dem Rathaus an die Politik stößt bei den Stadträten auf offene Ohren, zum Teil aufgrund eigener leidvoller Erfahrungen. „Ich habe seit der Wende elf Denkmäler saniert. Ohne Gesetzesänderung würde ich heute keines mehr anfassen, es ist zu frustrierend“, redet auch Bauausschuss-Vorsitzender Hartmut Zellmer (CDU) Klartext.

Auf seinen Antrag hin wird nun eine Arbeitsgruppe gebildet, die im Gespräch mit Landrat Markus Bauer (SPD) und seiner Unteren Denkmalschutzbehörde Änderungen erzwingen soll. Dabei geht es den Bernburgern insbesondere um eine lockerere Auslegung der Vorgaben innerhalb des gesetzlichen Rahmens.

„Der Worte sind genug gewechselt, wir müssen jetzt aufs Handeln drängen“, begründet Dittrich die Initiative nach jahrelang vergeblichem Anrennen.

Sinnlose Dokumentationen und unter aller Kanone

Er spricht von „teils sinnlosen Dokumentationen“, einer Rolle des Landesamtes für Archäologie und Denkmalpflege, „die unter aller Kanone ist“, und potenziellen Investoren, die nach mehreren Terminen mit Denkmalschützern entnervt aufgegeben haben.

Der Dezernent nimmt vor allem den Landrat in die Pflicht: „Ich habe den Eindruck, dass alles nicht flexibel gehandhabt wird.“

Sechs schriftliche Beschwerden sind eingegangen

Auf MZ-Anfrage teilte Markus Bauer mit, dass seit seinem Amtsantritt vor knapp drei Jahren bei jährlich rund 450 Vorgängen sechs schriftliche Beschwerden eingegangen seien. Er versicherte, dass seine Verwaltung, wo möglich, bereits flexibel reagiere.

„Grundsätzlich habe ich mich entschlossen, das Thema mit in die Landeshauptstadt zu nehmen und in Runden, wie den Treffen der Landräte, zu diskutieren.“

Ex-Minister Karl-Heinz Daehre schaltete sich ein

Liegt es tatsächlich an der Auslegung des Gesetzes oder an diesem selbst? Dazu gibt es unterschiedliche Ansichten.

Während Hagen Neugebauer (SPD) und Eberhard Balzer (Die Linke) eine Lockerung des Gesetzes fordern, schiebt Ex-Wohnstätten-Chef Michael Wieduwilt den Schwarzen Peter an die Kreisverwaltung weiter: „Es liegt auch an den handelnden Personen.“

Er berichtet von drei Fällen, bei denen die Behörde dem kommunalen Großvermieter einen Abriss verwehrt hatte, dieser nach dem Einschreiten vom damaligen Bauminister Karl-Heinz Daehre (CDU) dann aber doch plötzlich erlaubt gewesen sei.

„Wir brauchen auch Leute, die in einem Denkmal mit 1,50 Meter Deckenhöhe wohnen wollen“, spielt Gerd Klinz (FDP) mit Ironie auf die realitätsfremde Gesetzgebung an. Alte Fassaden sollten erhalten werden, doch dahinter sei moderner Wohnraum aus dem 21. Jahrhundert nötig.

Gebäudeliste sollte entschlackt werden

Eine wesentliche Forderung der Stadtverwaltung, die auch Uwe Schlegel (Bündnisgrüne) und Hagen Neugebauer stützen, ist die Entschlackung der Gebäudeliste. Wie aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Landtagsabgeordneten Sarah Sauermann hervorgeht, gibt es im Salzlandkreis derzeit 2349 Baudenkmale, davon 315 in Bernburg und seinen Ortsteilen.

„Wollten wir alle Denkmäler restaurieren, wären wir in 250 Jahren nicht fertig“, weist Holger Dittrich auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und den zur Verfügung stehenden Fördergeldern hin. Aber nicht nur bei diesen Denkmälern sprechen Kreis und Land mit, sondern auch bei Häusern in der Umgebung. Allein in Bernburg seien deshalb über 2.000 Objekte betroffen.

Nach Meinung des Dezernenten viel zu viel: „Wir müssen einfach Prioritäten setzen.“ Gebäude außerhalb der Innenstadt sollten ihren Schutzstatus verlieren.

Dass überhaupt so viele Häuser in die Denkmalliste aufgenommen worden waren, liegt laut Dittrich an der starken Denkmalpflege-Szene zu DDR-Zeiten in Bernburg, die nach der Wende dafür gesorgt habe, dass „eifrig alles Altes dokumentiert“ wurde.

Hilferuf auch in die Landtagsfraktionen tragen

Weil nur der Landtag auch das von 1991 datierende und seitdem kaum angepasste Gesetz ändern kann, ermutigt Hartmut Zellmer alle Stadträte, den Bernburger Hilferuf auch in die Landtagsfraktionen ihrer Parteien zu tragen. Offenbar besteht Hoffnung.

Zwar beantwortet die Landesregierung die Sauermann-Anfrage, wann das Gesetz novelliert wird, lapidar mit: „Denkmalrechtliche Vorschriften werden regelmäßig überarbeitet.“

Aber Peter Grassmann, entnervter Immobilieneigentümer in der Talstadt (die MZ berichtete), erhielt nach seinen Anschreiben an alle Fraktionen zumindest von der CDU eine positive Antwort.

Die Regierungspartei will „eine entsprechende Novellierung noch 2017 auf den Weg bringen“, kündigte der Fraktionsvorsitzende Siegfried Borgwardt an.

Auch im Fall des ehemaligen Carl-Zeiss-Chefs Peter Grassmann ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Nachdem die Kreisverwaltung seinen Antrag auf Abriss des Hauses Breite Straße 68 wegen angeblich fehlender Unterlagen abgelehnt hatte, durfte der Nicolaimarkt-Besitzer die in Rede stehenden Dokumentationen, die die Unwirtschaftlichkeit einer Sanierung nachweisen sollen, nachreichen. Offen bleibt, ob er nun den Abbruch zugunsten einer besseren Zufahrt zum Hofparkplatz des Nicolaimarktes genehmigt bekommt.

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KOMMENTAR

Mehr Mut

Die DDR-Wohnungsbaupolitik, die auf Neubau statt Altbau-Restaurierung setzte, hat bis heute auch in Bernburg ihre Spuren hinterlassen. Hunderte Gebäude, jahrzehntelang dem Verfall preisgegeben, waren nach der politischen Wende nicht mehr zu retten und mussten abgerissen werden. Vielen weiteren wird das gleiche Schicksal kaum erspart bleiben. Denn die finanziellen Ressourcen, um wertvolle Bausubstanz früherer Jahrhunderte denkmalgerecht zu restaurieren, sind begrenzt.

Als Sachsen-Anhalt Anfang der 1990er Jahre so viele Häuser unter Denkmalschutz stellte wie ganz Frankreich, träumte das junge Bundesland noch von „blühenden Landschaften“. Gut 25 Jahre später steht fest, dass das damals hehre Ziel, so viel wie möglich zu retten, mangels Geld nicht zu realisieren sein wird. Dennoch zwängt das überholte Denkmalschutzgesetz Sachsen-Anhalts Sanierungswillige weiter in ein Korsett, das in vielen Fällen nicht passt - mit dem Ergebnis, dass etliche Investoren entnervt aufgeben oder sich in anderen Bundesländern umschauen. Sachsen-Anhalt verpasst es, mit verbesserten Stadtbildern vom aktuellen Bauboom in der Bundesrepublik zu profitieren.

Neben einer Entschlackung der Objektliste wird es bei der Novellierung des Denkmalschutzgesetzes auch darauf ankommen, bürokratische Vorschriften abzubauen und die oberste Aufsichtsbehörde, das Landesamt für Archäologie und Denkmalschutz, um den Bereich Stadtentwicklung zu erweitern. Denn auch die aktuelle Baustilepoche sollte wie jede zuvor eigene Akzente im Stadtbild setzen dürfen. Im gleichen Maße kommt es darauf an, dass Mitarbeiter der Kreisdenkmalschutzbehörde Mut zum flexibleren Handeln innerhalb des Gesetzesrahmens aufbringen.

[email protected] (mz)